Sonntag, November 25, 2012

Ehrbarkeitszertifikat

Wir leben in einer Welt der Siegel und Zertifikate. Sie leiten uns durch den von Werbeversprechen verstellten Blick auf den Jungel konkurrierender Angebote.

Unterschiedlichste Bio- und Öko-Siegel begleiten unseren Einkauf von Lebensmitteln, Kleidung und Gartenmöbeln und versichern uns "mich kannst Du bedenkenlos kaufen, ich bin ein Produkt, das Dein Gesundheitsbedürfnis befriedigt und Dein Umweltgewissen beruhigt".

TÜV-Zertifizierung und mit dem CE-Prüfsiegel versehene technische Geräte garantieren uns, dass es mit dieser für den Laien schwer durchschaubaren Welt der Technik seine Ordnung hat und er getrost vertrauen kann.

Bei all diesen Siegeln und Zertifikaten geht es immer darum, uns dann, wenn unsere eigene Beurteilunsfähigkeit an ihre Grenzen stösst, eine Entscheidungshilfe zu liefern.

Gütesiegel und Zeugnisse, die Zeitschrift Ökotest und die Stiftung Warentest helfen uns weiter im unüberschaubaren Gewirre der Alternativen. (Und die Wurst von Gutfried kontrolliert das Institut Fresenius für Herrn Jörg Pilava, seine Familie und damit für uns alle. [Es wird dabei allerdings bewusst verschwiegen, was kontrolliert wird. Das ist wie bei einem Multiplechoice-Fragebogen. Jeder kann das einsetzen, was ihm besondrs wichtig ist. Z.B. den beinhalteten Anteil von Sägemehl.])

So weit so gut - oder auch nicht, denn mit der Zeit erkennt man die Regeln des Spiels: Zertifizierungen geben vor, uns Lebenshilfe zu sein. In Wirklichkeit stehen dahinter die Interessen derer, die die Zertifizierungen bezahlen. Nicht viel anders, als die Bezahlung der mit verführerischen Stimmungsbildern hinterlegten Aussagen der ewig jung haltenden Kosmetik in der Werbung. Also nix da mit Lebenshilfe. Mogelpackungen sind das - meistens zumindest.

Gestützt wird diese Theorie immer wieder durch Berichte über verschmutzte Backwaren trotz Hygienesiegel, krebserregendes Kinderspielzeug und ausdünstende Teppichböden mit Gütesiegel und wir kommen zu der Erkenntnis: Je zertifizierter, um so mehr soll kaschiert werden. (In diesen Tagen muss selbst die Stiftung Warentest, diese unbestechlich neutrale Bewertungsinstitution, einräumen, von den Herstellern getesteter und mit gut bewerteten Produkten hinters Licht geführt worden zu sein.)

Nun setzt Mensch noch einen drauf!

Die IHK, die Industrie und Handelskammer, bietet jedem Mitglied an, sich seine Ehrbarkeit durch eine Urkunde "Ehrbarer Kaufmann" zertifizieren zu lassen. Damit bekommt der so Geadelte unter anderem bestätigt, dass er ein Mensch ist, der ..zu seinem Wort steht, dessen Handschlag gilt. Ihm wird auch bestätigt, dass er ein Mensch ist, der sich dem Prinzip von ..Treu und Glauben verpflichtet fühlt.

Ich glaub's nicht! 

Was sagt das denn über unser Bild von uns selbst aus! Dieses Zeugnis geht davon aus, dass wir mehrheitlich der Meinung sind, unsere Mitmenschen sind im Zweifel alles Gauner, denen man nicht vertrauen kann. Und da ist es angebracht und vertrauensbildend, sich die Vertrauenswürdigkeit sozusagen durch eine Institution bestätigen zu lassen, die vertrauenswürdiger ist, als ich selbst es bin.

Wir können uns jetzt von einer seriösen Institution als Mensch mit den selbstverständlichsten Grundsätzen des vertrauensvollen Zusammenlebens beurkunden lassen!

Sie glauben mir nicht? Klicken Sie einfach hier>>, wenn Sie das Ehrbarkeitszeugnis bestellen wollen oder hier>> wenn Sie schon mal erkunden wollen, was man Ihnen bestätigt.

Übrigens: Ein Audit gibt es nicht.

Ich habe mir bestätigen lassen, was zu befürchten war: Eine Überprüfung des Antragstellers, ob er die Eigenschaften hat, die ihm bestätigt werden, erfolgt nicht. Eine laufende Überprüfung, ob er seine Geschäfte ihm Rahmen der beurkundeten Verhaltensweisen betreibt, besteht auch nicht. Die IHK entzieht die Urkunde auch nicht, wenn erkennbar wird, dass mit ihr unter falschem Segel gefahren wird. Allerdings (hört, hört!) könnte sie, denn die Urkunde steht unter Eigentumsvorbehalt der IHK! Im Übrigen werde der Wettbewerb schon dafür sorgen, dass die Schwarzen Schafe ruchbar werden.

Also ich würde raten: Wenn Sie in einem Geschäft oder bei einem Geschäftspartner auf diese Urkunde treffen, sollten Sie sich klar darüber sein: 

Ein Geschäftspartner, der es es als nötig erachtet, seine Vertrauenswürdigkeit von der IHK, einer Organisation, deren zahlendes Mitglied er ist,  beurkunden zu lassen, geht davon aus, dass er anderenfalls als unseriös wahrgenommen wird. Schlechtes Gewissen?

Also nix wie weg!!!

Mail an die Jüdische Gemeinde Berlin


Mail vom 15.07.2012 [Ich habe leider keine Antwort bekommen]

Guten Tag,

Wissen ist die beste Form, der Bildung von Vorurteilen den Boden zu entziehen. Aus diesem Anlass schreibe ich diese Zeilen.

Vorweg: ich bin Atheist und gedenke das auch zu bleiben.

In den vergangenen Tagen ist mir das Judentum im Rahmen der Diskussion bei Anne Will über die Beschneidung und durch Besuch des Jüdischen Museums Berlin zwei Mal 'begegnet'.

Diese Begegnungen haben Wissensfragen aufgeworfen, die ich gerne beantwortet hätte:
  • Ist das Judentum durch Volkszugehörigkeit definiert?
  • Versteht sich das Judentum lediglich als Religionsgemeinschaft?
  • Ist das Judentum durch "angeborene Zugehörigkeit zu einer vererbten Religionsüberzeugung" bestimmt?
Und letztlich die Frage: Könnte ich Jude werden?

Für Antworten wäre ich ihnen dankbar

Freundliche Grüße

Michael Rüdt von Collenberg

Guter Journalismus

Die ZEIT (48/2012) beschäftigt sich aus Anlass der Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der Einstellung der Finanzial Times Deutschland unter Anderem mit dem Zustand des Journalismus in Deutschland und befragt Verleger und Chefredakteure namhafter Zeitungen und Zeitschriften zum Thema.

Im Mittelpunkt aller Aussagen steht die Feststellung, das guter Journalismus überleben wird. [Das beruhigt.]

Sie stellt an Alle die Frage: Was hat die Branche falsch gemacht?

Am besten gefällt mir die Antwort von Roland Tichy57, Chefredakteur, Wirtschaftswoche hierzu:

Zu viele deutsche Medien sind zu rot-grünen Umerziehungslagern verkommen. Wer Fleisch isst, versaut das Weltklima, Beamte wissen besser als du selbst, was gut für dich ist. Die Steuern müssen rauf, die Kinder in die Krippe, denn Eltern schaden ihren Säuglingen wie sonst nur das Rauchen ihrer Gesundheit. Bitte nicht vergessen: Der Rhein-Tsunami bedroht deutsche Kernkraftwerke, Obama ist Gott, und wer gegen die Frauenquote ist, schändet auch Migranten am Arbeitsplatz. Viele Journalisten haben den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren. Deswegen will man deren Phantasmorgasmen nicht mehr lesen.
Dem kann ich nur zustimmen.

Donnerstag, Juli 12, 2012

Bist Du beschnitten?

Gestern Abend verteidigte bei Anne Will in der ARD der orthodoxe Rabbiner Yitshak Ehrenberg und die junge Muslima Khola Maryam Hübsch die Beschneidung von Knaben als unverzichtbaren Bestandteil ihrer Religion. Ein Kölner Landgericht hatte darin unter Verweis auf das im Grundgesetz verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit eine strafbare Handlung erkannt und entsprechend geurteilt.
Hinter der Diskussion steht das Dilemma zweier grundgesetzlich verankerter Rechtsgüter: Religionsfreiheit und körperliche Unversehrtheit.
Gleich mal vorweg: Wenn beide Rechte hier aufeinanderprallen, ist das Bundesverfassungsgericht gefragt. Traditionen, Gepflogenheiten, religiöse Anschauungen, Tolanz/Intoleranz mögen Begriffe in der öffentlichen Diskussion sein. Grundrechte stehen aber nicht zur Disposition von Jedermann und sind nicht freigegeben für Beliebigkeit. Die Totschlagargumente Antisemitimus
und/oder Fremdenfeindlichkeit gehören schon gar nicht hier her. Zumal nicht in Politikermund zwecks stimmträchtiger Umarmung potentieller Wähler.
Der Rabbi wiederholte in der Diskussion mehrfach unter Verweis auf das Alte Testament, dass Gott sozusagen persönlich vorgeschrieben habe, dass Knaben am 8. Tag nach ihrer Geburt beschnitten werden müssen, anderenfalls sie keine Juden sein können.
Da kann ich als wohlmeinender Atheist das Judentum nur dazu beglückwünschen, dass dieser unsägliche Gott vor mehr als 2000 Jahren nicht z. B. das Abhacken des kleinen Fingers der rechten Hand zur Bedingung gemacht hat.
Mein Einwand sei nicht ernst zu nehmender Blödsinn? Mitnichten! Wenn es um Wahrung der Vorherrschaft geht, ist jeder Religion, insbesondere aber ihren irdischen Vertretern alles zuzutrauen, mit dem Ziel, die jeweiligen Wahrheiten durchzusetzen und Macht und Einfluss zu sichern. Dafür lieferten und liefern anhaltend Glaubenskriege und sonstigen Metzeleien, die Inquisition der christlichen Kirche im Mittelalter oder die aktuellen Verbrechen fanatischer Muslime unter Verweis auf Allah nette Beispiele. Mit dem jeweiligen Gott lässt sich alles begründen. Bis hin zum Kondomverbot zur Verhinderung der Ansteckung mit Aids.
So ist die Beschneidung - das habe ich in der Diskussionsrunde gelernt - das grösste Geschenk, dass jüdische Eltern ihrem Sohn machen können! (Mädchen werden, so gesehen, ziemlich vernachlässigt. Die Zentrierung auf des Knaben bestes Stück schon im Säuglingsalter weist die Mädchen schon frühzeitig auf ihre im Judentum wie im Islam gottgewollt dem männlichen Geschlecht(steil) untergeordnete, eher dienende Rolle hin. In der katholischen Kirche nicht anders. Aber immerhin ohne Beschneidung.)
Blödsinn wird nicht dadurch legitimiert, dass er seit mehr als 2000 Jahren praktiziert wird.
Als denkender Mensch fragt man sich, weshalb religiöse Rituale nicht im Licht weiterentwickelter Erkennnisse auf ihren Sinngehalt hin hinterfragt werden. Etwa mit der ganz kindlichen Frage, ob es denn wirklich sein kann, dass meine Gottgefälligkeit von meiner gekappten Vorhaut abhängt? Und wenn ja, was ist das für ein Gott, dem vor 2000 Jahren vermutlich aus Hygienegründen Sinnvolles eingefallen ist, der aber noch heute auf etwas so absurd gewordenem besteht? Wer hat denn eigentlich zuletzt mit ihm gesprochen und ihn befragt? Und vielleicht noch ganz kühn: Muss ich das wirklich glauben und mit machen?
Vermutlich darf man als gläubiger Mensch so etwas nicht denken, muss stillschweigend akzeptieren, was die irdischen Vertreter Gottes von mir verlangen, damit ich nicht ausgeschlossen, meine Kinder aufgenommen werden in die Gemeinschaft derer, die auch nicht hinterfragen. Den Zorn der Götter mochte Mensch noch nie gerne auf sich ziehen; damals verständlich, als Blitz und Donner noch unerklärlich waren....
Ich denke, wir tun sehr gut daran, unserem irdischen Recht den Vorrang zu geben vor absurden Verweisen auf jahrtausende alte unterschiedliche Anweisungen diverser Götter.
Im übrigen mag sich jeder Mensch taufen, piercen, tätowieren und beschneiden lassen an welchen Körperstellen und aus welchem Motiv auch immer er will, wenn er erwachsen und selbstbestimmt lebt, Kosten und Folgen selber trägt.
Ich bin aber strikt gegen Beschneidung und was es sonst im Namen von Göttern noch so geben mag, schon im Kindesalter. Derartige Maßnahmen am urteilsunfähigen Kind - zwingend vorgetragen durch selbsternannte irdische Vertreter des jeweiligen Gottes - dienen dazu, Abhängigkeiten schon im Kindesalter zu zementieren, die den Religionsvertretern einen lebenslangen Machtposition sichern sollen.
Meine Empfehlung: Selbst denken und selbstverantwortlich leben.

Sonntag, Juli 01, 2012

...und noch mal Spanien

Ich habe im Laufe meines Berufslebens unter anderem 3 Jahre in Spanien gearbeitet. Seit Juni 2003 bin ich Rentner und beziehe daher zwei staatliche Renten.

Die deutsche Rente ist in den knapp 9 Jahren um 5,13% gestiegen, die spanische um sage und schreibe 20,92%. (Leider betrug die Spanische zu Beginn nur 37,62 € im Monat.)

Zusätzlich zahlt der Spanische Staat je eine Urlaubs- und eine Weihnachtsrente und damit also jedes Jahr 14 Renten.

Diese großzügige soziale Haltung gegenüber der Bevölkerung dürfte auch ihren Beitrag zu dem spanischen Staats-Defizit beigetragen haben.

Dienstag, Mai 22, 2012

Spanische Probleme

Ich komme gerade von einer 3-wöchigen Rundreise innerhalb Spaniens und finde bestätigt, was ich in den vergangenen 10 Jahren bei jährlichen Rundreisen kreuz und quer durch das ganze Land beobachtet habe: Spanien hat mit EU-Geld, also Finanzierung, die nicht die Wirtschaftskraft des Landes darstellt, das unbestreitbar umfassendste und perfekteste Straßennetz aller Länder Europas aufgebaut. Schauen Sie sich als Beispiel mal aus der Volgelperspektive auf einer Navigations-Software alleine Madrid mit der Schnellstraßen-Verkehrsinfrastruktur an, die alles übertrifft, was eine andere Europäische Hauptstadt zu bieten hat. Ca. 80% davon sind in den Jahren seit Eintritt in die EU entstanden. 
Nichts gegen eine gute Infrastruktur und prima vista sinnvoll.
Offensichtlich ist aber die Tatsache, dass dieses in allen Aspekten äußerst luxuriöse  Straßennetz gemessen am Bedarf vielfach überdimensioniert ist.
Zwei konkrete Beispiele einer beliebig verlängerbaren Liste:
Auf einer Strecke wie Burgos - Madrid, einer Autobahnlänge von ca. 260 km, sind rund 220 meist beidseitige Auffahrten mitgebaut worden - also etwa alle 1 1/2 km eine Auffahrt. Auffahrt heißt meistens beidseitig Kreisverkehre verbunden durch Überbrückung der Autobahn.  Manchmal sind Tankstellen im Abstand von keinen 2 km zu finden. Das hat richtig Geld gekostet. Ich fuhr die Strecke am 26. April, einem Donnerstag. Das Lastverkehrsaufkommen entsprach dem an einem Sonntag bei uns - PKW waren ohnehin kaum unterwegs.
Das zweite Beispiel.
Das 38.000 Bürger zählende, landwirtschaftlich geprägte Städtchen Tomelloso mitten in der Mancha hat nicht weniger als 6 direkte, aufwändige Autobahnzufahrten. Ich habe mich auf eine der Brücken gestellt, um das Verkehrsaufkommen zu beobachten. In keiner Richtung bewegte sich innerhalb einer knappen halben Stunde ein Auto auf der Autobahn. Näheres hierzu hier>>.
Überhaupt habe ich festgestellt, dass man im Land überall locker 50km auf besten, nagelneuen, kurvenreich in die Berge gefrästen Straßen mit Bundesstraßencharakter fahren kann, dabei vielleicht ein, zwei kleinere Orte quert und hoch gegriffen 10 Autos begegnet.
Über das gesamte Land - 550.000 qkm (Deutschland 357.000 qkm) - bei einer außer großstädtischen Besiedelungsdichte unter 20 Einwohner/qkm (Deutschland 229 Einwohner /qkm) wurde ein flächendeckendes Straßennetz gelegt, dessen Herstellung keinen Zusammenhang mit der Wirtschaftskraft des Landes aufweist.
Das wäre noch nicht so schlimm, wenn die Nutzung - insbesondere die durch Warenverkehr und damit zum Nutzen der Wirtschaft - den Bedarf rechtfertigen und letztlich die Erhaltung finanzieren würde. Dem ist aber nicht so: Die Ausprägung und der Umfang des Verkehrsnetzes hat keinen Zusammenhang mit dem Verkehrsaufkommen.
Die Folge wird zwangsläufig sein, dass die Erhaltungsaufwendungen nicht gedeckt werden können und der Verfall vieler, ich behaupte der meisten, neuen Straßen programmiert ist.
Der Wahnsinn ist Ausdruck einer unkontrollierten, nicht wirtschaftlichen, sondern politisch determinierten Entscheidungsfindung in der EU und in Spanien. Er schlägt sich darin nieder, dass die unglaublichen Milliarden über den Spanischen Staat in die Bauwirtschaft geflossen sind, von da ausgehend sehr viele gering qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen und den Beschäftigten vorübergehend Wohlstandsgefühle vermittelt haben.
Der Boom, zurückzuführen auf die Milliarden, die nicht der eigenen Wirtschaftskraft entsprungen sind, hat die Unternehmer, die Bevölkerung und die Banken berauscht und alle haben sich und ihre Zukunft verschuldet.
Und nun hat die Politik Probleme, den Menschen zu vermitteln, dass alle zwar gearbeitet und alle dafür Geld bekommen haben, aber leider viel mehr, als es der wirtschaftlichen Leistung entspricht und dass es so nicht weiter geht und es unausweichlich ist, den bitteren Weg zurück zu gehen und sich mit dem zufrieden zu geben, was erwirtschaftet wird.
Mir erscheint es eine sehr zweifelhafte Politik, wenn weiterhin, wie wohl letztlich zur Vermeidung des Ausbruchs sozialer Spannungen unumgänglich, durch weitere Verschuldung - egal wessen Verschuldung - einzelnen Ländern und deren Bevölkerung die Möglichkeit finanziert wird, einen Lebensstandard zu halten, der losgelöst ist von der eigenen Wirtschaftskraft,
Das kann ebenso wenig gut gehen, wie eine Brücke trägen kann, deren statische Berechnungen aus politischen Gründen auf der Annahme gründen, dass drei plus drei sieben ergeben solle.

Sonntag, April 08, 2012

verdi hilf – ich bin ein Härtefall!!!

Die ZEIT, Ausgabe 15, schildert unter dem Titel "Sie hat ausgedient" Schicksal und Lebensumstände der nun entlassenen Schlecker-Mitarbeiterin Kerstin Mayer. Kein pretentiöser Artikel, wie ich ihn lese, eher eine sachliche Darstellung.

Ich lese darin, dass die Familie Meyer durch Fortfall ihres Schlecker-Einkommens zu Gunsten von Arbeitslosengeld nun 450 € weniger zur Verfügung hat. Das mag viel sein oder wenig - in Abhängigkeit von der Einkommens- und Lebenssituation der Familie, denke ich mir, und lese weiter.

Frau Mayer, erfahre ich, ist 36 Jahre alt, Hauptschule, keine Ausbildung, kein Führerschein. Der Ehemann ist Hausmeister. Sie haben 2 Kinder. Das Nettoarbeitseinkommen betrug bisher 2.700 €. Hinzu kommen rund 310 € Kindergeld.

Prima vista, so denke ich mir, kein schlechtes Einkommen angesichts der Ausbildungsaufwendungen. Persönliche Tüchtigkeit muss gegeben sein. Gemessen daran, so scheint mir, sind 450 € weniger zwar ärgerlich, aber doch wohl verkraftbar, bis Frau Mayer eine neue Stelle gefunden hat. So schlimm, denke ich insgeheim, ist dieses "Schlecker-Frauen-Schicksal" eigentlich nicht. Es rechtfertigt das veröffentlichte Mitleid mit den "Schlecker-Frauen" eben so wenig, wie die Forderung von verdi, die jetzt entstandene Situation von Frau Mayer als Härtefall zu bewerten.

Ich lese weiter und erfahre: Mayers bewohnen ein eigenes 114 qm Reiheneckhaus, Küche neu. Sie fahren einen Geländewagen. Der Stellplatz, steht da, muss noch befestigt, der Garten angelegt werden und die Hecke fehlt auch noch. Die Finanzierung von Haus und Geländewagen kosten im Monat 1.340 € und die Familie hat eine viertel Million € Schulden.

Nun wird das Geld zum Leben knapp.

Was Wunder, denke ich mir und frage mich, was verdi zu meiner Lebensform sagen würde:

Ich habe mein Studium selbst finanziert, war mein Leben lang Angestellter und als solcher die letzten 30 Jahre meines Berufslebens erfolgreich Geschäftsführer eines kleineren, mittelstädischen Untermnehmens. Mein Arbeitseinkommen war etwa 4 x so hoch wie das durchschnittliche der 130 bei mir Beschäftigten. Ich habe immer den höchsten Beitrag in die Sozialkassen bezahlt. Ich habe 3 Kinder - zwei studieren noch, eines ist behindert. Ich habe nie staatliche Unterstützung gefordert oder bekommen - außer Kindergeld.

Heute beziehe ich 1.764,46 € Rente und wohne in einem für 125.000 € (245.000 DM) erworbenen, energieschluckenden Häuschen Baujahr 1954 mit knapp über 100 qm Wohnfläche. Unsere Küche ist 28 Jahre alt und das Familienauto ist ein Golf 5 Diesel, Baujahr 2005.

So gesehen bin ich wirtschaftlich deutlich schlechter dran, als die Mayers. verdi helfe mir, ich bin ein Sozialfall! 

Irgendwie, scheint mir, haben wir das Maß verloren, wenn wir bereits für eine Lebenssituation, wie die von Familie Mayer, die Solidargemeinschaft wegen Unterstützung aufrufen.

Vielleicht hat die Erwartungshaltung an unseren Lebensstandard generell das Maß verloren, wenn wir meinen, dass das Familieneinkommen aus Hausmeistertätigkeit und angelernter Kraft mit Grundschule ohne weitere Ausbildung neben 2 Kindern  und deren Ausbildung auch ein Haus mit Garten und einen Geländewagen finanzieren können muss - so sehr es jedem gegönnt sei.

Sarrazin & Grass

Ich gestehe weder das Buch von Sarrazin noch das Gedicht von Grass gelesen zu haben - aber um die Inhalte geht es mir gar nicht.

Grass und Sarrazin vereint mit uns allen das in unserem Lande durch Artikel 5 (1) des Grundgesetzes gesicherte Recht der freien Meinungsäßerung. Sie trennt von den meisten von uns, dass sie bekannte Persönlichkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung sind.

Was ich – bestenfalls von unserem aufmerksamen Verfassungsschutz [und, wie ich nachverfolgen kann, von einem in Russland angesiedelten Netz-Spionagedienst] registriert – hier äußere, kann ich ungestraft tun, weil ich den Schutz der Bedeutungslosigkeit genieße. Wenn ich Sarrazins Buch oder das Gedicht von Grass geschrieben hätte: Es hülfe mir nicht zur Bekanntheit.

Grass und Sarrazin haben sich erlaubt eine Meinung zu Themen zu äußerNn, über die Politiker und Meinungsmacher die alleinige Deutungs- und Meinungshoheit für sich beanspruchen. Eine Art Inhaberschaft über Sichtweise und Darstellung in der Öffentlichkeit, wenn es um die Themen Zuwanderung mit allem, was dazu gehört und der Erbschuld gegenüber allem, was mit Juden in Verbindung gebracht wird, geht.

Der Meinungs-Maulkorb steht sozusagen über – zumindest aber gleichberechtigt neben dem Grundgesetz, ist gleichsam eine nicht nieder geschriebene, aber allgemein zu akzeptierende Deutung des Satzes Eine Zensur findet nicht statt, die so oder so ähnlich lautet:

In der Öffentlichkeit bekannten Personen wird dringend nahe gelegt Meinungen, die sie infolge eigener Beobachten und selbstständigen Denkens entwickeln, vor Veröffentlichung den führenden Meinungsmachern vorzulegen. Nichtbeachtung dieser verfassungsergänzenden Empfehlung berechtigt zur öffentlichen gesellschaftlichen Hinrichtung und Ächtung mit allen Mitteln.

Alle Bürger – unabhängig von Bildung, Wissen und Urteilskraft – sind im Sinne urdemokratischen Verhaltens insbesondere aufgefordert, im Internet an der Hetze teilzunehmen. Die erfolgreiche Hetzjagd auf Guttenberg und dessen Vernichtung mag hinsichtlich des Verfahrens beispielhaft gesehen werden.


Das Ärgerliche für die selbsternannten Inhaber der Meinungshoheit ist der Umstand, dass das Denken und die Meinung nicht aller Bürger zu den ihnen vorbehaltenen Themen beherrscht werden können; erfreulicher weise sind diese aber beeinfluss- und manipulierbar.

Im Sinne der oben veröffentlichten Durchführungsverordnung zum Zensurverbot muss verhindert werden, dass all zu viele unkontrollierte Köpfe von einem Infragestellen der Herrschaftsmeinung infiziert werden. Diese Gefahr ist immer dann gegeben, wenn herausragende Persönlichkeiten etwas äußern, was aus der Meinungsreihe tanzt.

Die Hüter der Meinungsdiktatur schlagen sofort und erbarmungslos zu – Medien im Schutz der unantastbaren Pressefreiheit.

Da lese ich z.B, dass Grass als 17-Jähriger gegen Kriegsende und angesichts ausgehenden Kanonenfutters zur SS einberufen wurde. Das wird völlig hemmungs- und schamlos benützt, ihm anhaltenden Antisemitismus zu unterstellen. Heutzutage steht einem 20-Jährigen im Zweifel noch der Schutz des Jugendgerichtsbarkeit und verminderte Schuldfähigkeit wegen Alkohols zu, wenn er einen erschlagen hat. Aber als 17-Jähriger, unter der Wahrnehmungsbeschränkung einer Diktatur aufgewachsener Jugendlicher, von der SS eingezogen worden zu sein! Das genügt für lebenslangen Gesinnungsnachweis – unabhängig von  anderen Äußerungen und Verhalten zum Thema Deutsche und Juden durch die danach gelebten knapp 70 Jahre. Grass – so das unisono in stumpfer Hirnlosigkeit vorgetragene Verdikt – ist immer Nazi geblieben!

Israel hat heute für ihn Einreiseverbot erlassen! Ich warte auf den Antrag auf Rücknahme des Literaturnobelpreises. Sein Glück, dass er keinen Dr.-Titel hat.

Erinnern Sie sich noch, wie man damals mit Sarrazin umgesprungen ist? Er hat aus seiner Erfahrung als Finanzminister von Berlin Erkenntnisse gewonnen und Schlussfolgerungen gezogen, die sachlich zu 90% richtig waren, wie Eingeweihte ihm zugestehen. (Natürlich nicht öffentlich, versteht sich. Man ist ja kein Selbstmörder.) Es ging um unbefriedigend gelöste Aufgaben im Berliner Sozialsystem. Die Erkenntnisse und die abgeleitete Kritik traf auch auf islamgläubige Zuwanderer ins Sozialsystem und deren schleppende Bereitschaft, außer den finanziellen Lebenshilfen auch die damit verbundenen Anforderungen unseres Gemeinwesens anzunehmen.
Unglücklicherweise beinhaltet sein Buch wohl auch einige wissenschaftlich nicht haltbare statistische Fehlinterpretationen und solche zu genetischen Gesetzmäßigkeiten, die wohl sehr zweifelhaft sind - mit bedauerlichen Folgen für ihn und seine zutreffenden Feststellungen.

Der Fehler von Grass besteh darin, dass er Israel in schiefes Licht gerückt hat – eine von der Tragfähigkeit der Aussage völlig losgelöster Verstoß gegen die herrschende Meinungsdiktatur. Wie vor Jahresfrist Sarrazin sich des Themas Sozialsystem Berlin und Zuwanderung – unvermeidlich verbunden mit islamischen Verhaltensmustern – bemächtigt hat und zu Aussagen gekommen ist, die die veröffentlichte herrschende Meinung infrage gestellt hatte.

Die jeweiligen Schwächen der von beiden vorgelegten Überlegungen sind der Hebel, die Ausarbeitungen insgesamt und pauschal als unsinnig und unwert einzustufen und sich berechtigt zu sehen, gleich den dazugehörigen Verfasser in die Nähe irrsinniger, ja moralisch verwerflicher Individuen zu rücken oder jetzt Grass angesichts seines Alters einfach für debil zu erklären.

Die gesamte Artillerie absolut tödlicher Schlagworte wird aus den Arsenalen geholt und unisono werden die Salven abegefeurt auf bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich quer zu dem denken und zu äußern wagen, was die Wächter der Meinungsdiktatur als die unantastbar verordnete Öffentliche Meinung vorgegeben haben. Die Rücksichtslosigkeit des Vorgehens ist dergestalt, dass man meinen könnte, es gehe darum, die Welt vor dem anderenfalls unausweichlichen Untergang zu retten.

Der Papst müsste zu Ostern mal aussprechen, was die katholische Kirche bezüglich der Schuld der Juden schon seit nun fast 2000 Jahren vertritt: Die Juden haben Jesus Christus ermordet.

Ich glaube unsere Meinungsdiktatoren würden selbst den Papst ans Kreuz nageln.

PS: Ich fühle mich nicht wohl in einer Gesellschaft, in das Recht auf freie Meinungsäußerung von federführenden Meinungsdiktatoren durch öffentliche Zerstückelung derer unterlaufen wird, deren Äußerungen nicht dem Mainstream entsprechen. Die Hinrichtung markanter Persönlichkeiten mit quer- oder gegenläufigerer Meinung erfolgt ungestraft und zwar unter Berufung auf eben jene grundgesetzlichen Meinungsfreiheit, die die Henker selbst immer dann nicht gelten lassen  wollen, wenn es um Themen geht, über die sie die ausschließliche Kontrolle selbstherrlich und anmaßend beanspruchen.

Freitag, März 30, 2012

Die Schere im Kopf der Medien

Ich bin wirklich entsetzt über unsere Medien im Zusammenhang mit der gescheiterten Auffanggesellschaft für die Schleckerbeschäftigten.

Anstatt sich die Frage zu stellen, ob die FDP nicht möglicherweise die einzige Partei ist, die richtig gehandelt hat, wird bis hin zur Tagesschau völlig undifferenziert festgestellt, dass die FDP nur im Überlebenskampf um sich beißend entschieden habe.

Natürlich falsch entschieden. Die Frage, was sachlich richtig ist, stellt sich niemand. Um wieviel schlechter stehen denn die Schleckerfrauen ohne die Auffanggesellschaft da? Haben Sie das irgendwo gelesen oder gehört? Aber ein Urteil haben alle schnell zur Hand: Die FDP ist böse und schuldig.  

Wie beschränkt, wie dümmlich, wie wohlfeil, wie verdummend!

Zu viele Medienfuzzis reden über Wirtschaft, ohne auch nur das Geringste davon zu verstehen.

Mitleid ist eine positive, menschliche Eigenschaft. Bei dem Gebrauch des Mitleidsbegriffes gegenüber Menschen, die man nicht kennt, lege ich aber die Ohren an, anders, als bei persönlicher Betrfoffenheit. Frau D., die ich kenne, ist eine Schleckerfrau. Ich kenne ihren Hintergrund. Sie tut mir leid. Ich kann aber nicht sagen, alle Schleckerfrauen tun mir leid. Mitleid fordert eigenes, aktives Handeln. Zu verkünden, dass man Mitleid hat, genügt eben so wenig, wie die Erwartung, dass andere sich darum kümmern. Z.B. der Staat.

Alle die jetzt voller Mitleid für Schlecker-Frauen sind, und daher eine Auffanggesellschaft fordern, sollten in viel höherem Maß mit den Frauen und Kind-Mädchen Mitleid haben, die die Klamotten als Sklaven zusammen nähen, die sie hier bei KIK, H&M, ZARA u.s.w. kaufen und das zeigen, indem sie nicht dort kaufen, weil's billig ist. Da passt tätiges Mitleid hin.

Mitleid als Parameter für wirtschaftliches Handeln ist ganz schlicht einfach sachlich falsch.

Und dennoch gehen wir mit den ganz sachlichen Regeln der Wirtschaft so um, als müssten sie sich mit einem Mitleidsmasstab messen lassen. Und jeder redet mit und nur wenige verstehen was davon. Zumal in den Massenmedien, wo es um Sensation geht, nicht um Fakten. Das ist so, als bauten wir Brücken nicht mehr nach statischen Gesetzen sondern nur noch nach ästhetischen, weil die besser gefallen. Um uns dann zu wundern, dass die schönen Brücken nicht tragen.

Warum hinterfragt niemand im öffentlichen Raum, ob die Auffanggesellschaft überhaupt sinnvoll und nötig ist? Warum fragt sich die Öffentlichkeit nicht, ob diese Art staatlich garantierter Beschäftigungsprogramme nicht die Richtung in ein Staatswirtschaftssystem führt?

Wollen wir, dass ein Funktionärs-System unsere Wirtschaft steuert - denn das wäre die Folge. Wollen wir Einfallsreichtum, gestaltendes Handeln und Initiative einem Heer von Beamten übertragen, die im Regelwerk nachschlagen, was sein darf und was nicht? Wollen wir das wirklich?  Das ist der Preis für Beschäftigungsgarantien für jeden.

Leben ohne Risiko ist wünschenswert, aber utopisch! Lass uns diese Utopie nicht anstreben, sondern lernen, mit den verbliebenen Restrisiken zu leben. Jeder Einzelne in seinem Wirkungsbereich. Wenn dem Staat - der uns als allumfassendes Regelwerk für jede Lebenssituation und gemanged durch Funktionäre gegenüber tritt - ist der Einzelne und sein persönliches Streben und Wollen unwichtig. Der Staat hat naheliegender weise nur das Gesamte im Blick. 

Ich will das nicht - das wäre auch für unseren Wohlstand und unsere Freiheit absolut tödlich.

Aber diese Staatsphilosophie steckt hinter der vordergründigen Menschenfreundlichkeit einer Auffanggesellschaft für Schlecker, dem Gedanken der Gerechtigkeit, der derzeit den Zeitgeist bestimmt. Gerecht ist, wenn alle gleich sind - bis auf die Funktionäre natürlich.

Gleichheit (Gleichwertigkeit nicht Gleichmacherei) - Brüderlichkeit (Solidarität gegenüber dem Gemeinwesen) - Freiheit (wofür, nicht wovon).

Wenn dieser Dreiklang zugunsten eines der drei Elemente kippt, gibt es Probleme und das ist immer dann der Fall, wenn es in einer Demokratie den Vertretern einer Überzeugung gelingt, die nicht denkende Mehrheit für sich zu gewinnen und damit die Ausgewogenheit zu gefährden.

Erinnern sie sich der Liberalisierung der Finanzmärkte durch die SPD-/Grüne-Regierung unter Schröder, wodurch sich das Gewicht zu Gunsten der wirtschaftlichen Freiheit verschoben hat? Mit den bekannten Folgen. (Ironie der Geschichte: Der FDP wird unter dem Schlagwort Neoliberalismus erbarmungslos die Schuld an diesem Desaster untergeschoben und zwar vornehmlich von denen, die es angerichtet haben. Das nennt man Politik.)

Eine gleichermaßen bedrohliche Verschiebung scheint mir gerade im Gange, weil die Gerechtigkeitsdebatte unter dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit, wie sie derzeit dominierend geführt wird, den Grundwert der Gleichheit einseitig interpretiert. Hinterfragen wäre angesagt.

Aber ich fürchte, dass  unsere Presse bei aller Vielfalt schon deshalb nicht mehr frei ist, kritische Fragen zu stellen, weil sie ihre Freiheit inzwischen auch der Einschalt- und Auflagenquote geopfert hat und nur noch den Mainstream gefällig nachplappert.

Kommt hinzu, dass anders denken tödlich geworden ist - für Politiker und Meinungsmacher. Wer den Kopf raus streckt beschädigt die Gleichheit des Denkens und alle anderen fühlen sich berechtigt - manchmal hat man den Eindruck in unversöhnlichem, gemeinsamem Gesinnungsfeldzug -, ihn wieder gleich zu machen. Unifomität und Denkkonsens scheint zunehmend Wesensmerkmal unserer Gesellschaft.

Auflagenschere im Kopf, denken verboten. Hat diktatorische Züge. Meinungsdiktatur, könnte man sagen.

Ich bin wirklich entsetzt und besorgt.

Donnerstag, März 29, 2012

Schlecker

Was machen die anderen Parteien bloß ohne die FDP, der man heute so schön den Schwarze Peter für alles in die Hände drücken kann! Wer ist Schuld an der geplatzten Auffanggesellschaft für die Schlecker-Beschäftigten, die alle so gerne hätten? 
Natürlich die FDP, die unmenschliche, die neoliberale!

Und so macht man das:

Es geht um 11.000 Arbeitsplätze. Gewerkschaftsfunktionäre, die LINKE und Medien drücken auf die  Tränendrüse, indem sie eine brave, verheulte Frau in Szene setzen, deren Leben zusammen bricht und fordern Maßnahmen, die gut klingen, sie im Licht der Helfenden erscheinen lassen, aber Unsinn sind, was sie durchaus wissen: Sie fordern eine Auffanggesellschaft und Qualifizierungsmaßnahmen für die Schleckermitarbeiterinnen. Aber sie müssen ja ohnehin nicht handeln, denn sie sind ja nicht die Regierung. 

Die genannten Initiatoren sind die Trittbrettfahrer der Schleckerpleite. Sie ergreifen die Chance, sich sympathisch zu machen. Um die Schleckerbeschäftigten geht es dabei weder der Gewerkschaft noch der LINKEN - es geht um politische Stimmungsmache, um Kalkül auf der politischen Bühne und die Mitarbeiterinnen sind die Spielkarten.


Die so aufgebaute und durch Wiederholung zunehmend verstärkte Stimmung setzt die Politiker der regierenden Parteien unter Druck, die von Gewerkschafsseite ins Spiel gebrachte Auffanggesellschaft ernsthaft zu diskutieren, die den Beschäftigten ein halbes Jahr 3/4 ihrer Löhne sichern und sie qulifizieren sollen. (Wozu qualifizieren? Aus gestandenen Hausfrauen, die im Niedriglohnbereich und oft halbtags tätig waren, macht niemand in einem 1/2 Jahr qualifizierte Arnbeitskräfte für einem anderen Job fit, als dem, den sie inne hatten und den sie sicherlich gut gemacht haben. Dafür sind die fitter, als sie eine Qualifizierungsgesellschaft je machen könnte.)

Kostenpunkt irgendwo bei 70 Millionen € Steuergelder.

Angesichts anstehender Wahlen lassen Politiker sich bekanntlich gerne jede langfristige Vernunft zugunsten erhoffter kurzfristiger Effekte außer acht. Das war die Hoffnung der Initiatoren, die, hätte die Politik nachgegeben, dann das Ergebnis als Triumpf der Menschlichkeit auf ihre Fahnen geheftet hätten.

Nun ist der deal geplatzt.  

Es waren die von der FDP mitregierten Länder Sachsen und Niedersachsen, die Rückrat genug bewiesen, die Schleckerauffang-Gesellschaft zu verhindern. Unverzüglich kamen die wohlfeilen Vorwürfe an die herzlose, dem Neoliberalismus verpflichtete FDP über den Bildschirm geflimmert und wird von meiner erblindeten Tageszeitung unterstrichen. Und Herr Söder, Bayerischer Wirtrschaftsminiter, stimmt - sich selbst aus der Verantwortung stehlend - mit ein: Der Koalitionspartner, die FDP, hat sich verweigert...

Dass Wirtschaftswissenschaftler sachlich völlig zu Recht darauf hinweisen, dass eine solche Auffanggesellschaft unser auf Wettbewerb basierendes Wirtschaftssystem unterläuft und im übrigen genau für diese Situation, die bei Schlecker eingetreten ist, das Arbeitslosengeld existiert und die ARGE(n) als Instrument erfunden wurden, um die Qualifizierungsaufgabe zu erfüllen - ihr täglich Brot - geht unter, weil sachliche Beurteilung hier jetzt nicht gewünscht ist.

Übrigens:
Zufällig steht heute in der Zeitung, dass gestern die Bahner-Grupe, Augsburg, Insolvenz angemeldet hat - der Öffentlichkeit durch die Schuhmarke Leiser bekannt. Es handelt sich um 1.400 Arbeitsplätze.
Soll, wenn es nötig wird, da auch eine Auffanggesellschaft gegründet werden? Oder wird die kritische Wählerstimmenmenge da noch nicht erreicht, um politischen Druck aufbauen zu können?
Und was ist mit den ca. 150 Pleiten kleiner und kleinster Unternehmen, die tagtäglich stattfinden? Das sind insgesamt mindestens 40 - 60.000 Arbeitsplatzverluste im Jahr.
Wählerstimmenmäßig irrelevant, weil Kleinereignisse, werden die Generalsekretäre der Parteien denken - aber natürlich nur denken, nie sagen!

Samstag, März 24, 2012

Guttenberg - kennst Du den noch?

Kennst Du jemanden, der sich noch daran erinnert, dass wir einmal einen jungen Politiker hatten, der - mit guten Manieren präsentabel, zupackend mit neuem Stil, nicht aus der Kaste der Politikfunktionäre und dem Parteiapparat kommend, also geschliffen, ohne abgeschliffen zu sein - in kritischer Situation als Wirtschaftsminister eingesprungen die Opelkrise in erfrischendem Stil erfolgreich entschärft hat?

Der dann das nächste heiße Eisen anpackte und als Minister der Verteidigung die längst überfällige und immer in die nächste Legislaturperiode weitergereichte Bundeswehrreform anpackte und unter Applaus der Medien Pläne dazu vorlegte, konkrete Schritte einleitete und sich mit der eingeigelten, verbeamteten Führungsriege im Verteidigungsministerium anlegte?


Ja, ein wenig nassforsch kam er rüber, etwas zu selbstsicher und medienorientiert. Das Gel in den Haaren gefiel nur bedingt, seine Herkunft und die wirtschaftliche Unabhängigkeit diente den mehrheitlich linkslastigen Medienmachern von Anbeginn zu versteckten Nadelstichen.

Dennoch:
Er bekam damals viel Lob, wurde von den einen schon als denkbarer Kanzleraspirant hochgejubelt, von den anderen als längst erwarteter Gegenspieler des unsympathischen Markus Söder begrüßt, bis dato unangefochtener CSU-Politstar aus Nürnberg und ungefährdeter Nachfolgeaspirant des wankelmütigen Bayerischen Landesvaters Horst Seehofer.

Er hieß - namensrechtlich korrekt - Dr. Karl-Theodor von und zu Guttenberg - und das wurde sein Verhängnis.

Nein,
wirst Du einwenden, sein Verhängnis ist sein erschlichener Dr.-Titel und die Ungeschicklichkeit, mit der Aufdeckung umzugehen. Stimmt! Und von mir kommt keine Verharmlosung, keine Entschuldigung, kein Kleinreden, kein Verständnis. Nein, sein Verhalten geht nicht, ist unentschuldbar. Das gilt auch dann, wenn heutzutage eine Inflation und gewisse Laxheit bei der Vergabe von Dr.-Titeln eingerissen sein mag.

Und der Versuch des Vertuschens und des sich Klammerns war blamabel. Ich erlebte ein unangenehmes Gefühl des Fremdschämens für seinen Umgang mit der Entdeckung. Mich schaudert noch immer.


Ich kann mich aber dennoch des Verdachts nicht erwehren, dass der Angriff und die erbarmungslose Verfolgung nicht stattgefunden hätte, wenn er Dr. Georg Meier geheißen und nicht so herausragend erfolgreich nur so zwischen den Parlamentariern gesessen hätte, denn angesichts des laxen Umgangs mit dem Erteilen von Dr.-Titeln bin ich sicher, dass noch so mancher das Ansehen des Titels in der Öffentlichkeit auslebt, ohne dass die zugrunde liegende Leistung seinem eigenen Kopf entsprungen ist.


Rückblickend fällt auf
, dass die erbarmungslosen Plagiatjäger - selbsternannte Gerechte, die ihr Tun als höheren Werten verpflichtet begründen - bisher Guttenberg (CSU), Jorgo Chatzimarkakis (FDP), Silvana Koch-Merin (FDP), Margarita Mathiopoulos (FDP), Daniel Volk (FDP) und beide Kinder von Edmund Stoiber (CSU) "am Wickel" oder zu Fall gebracht haben. Ich habe nicht gehört, dass ein Politiker von der Linken oder von der SPD auf der Untersuchungsliste standen. Honi soit qui mal y pense.

[Und jetzt, so habe ich gehört, leiden die Betreiber der Veröffentlichungsplattform
VroniPlag Wiki unter Mangel an Jägern. Ziel erreicht? Feldzug siegreich beendet? Gerechtigkeit hergestellt? Kein öffentlicher Applaus mehr?]

Ich stelle ebenfalls rückblickend - und der Umgang im Zusammenhang mit Christioan Wulf hat das befördert - fest, dass sich meine Einstellung zu den Medien als Wächter der Freiheit, deutlich verändert hat.

Ich erinnere mich noch immer entsetzt der grauenhaften, unmenschlichen, hinterhältigen, das niedrigste im Menschen herauskehrenden, hämischen Art und Weise, wie unsere mediale Gesellschaft den Menschen Guttenberg geteert, gefedert, gepfählt, gevierteilt und letztlich geschreddert hat und anhaltend ohne Erbarmen verharrt in der Bereitschaft, das Auftauchen seines Namens zum Anlass zu nehmen, die verbliebene Reste unter Wasser zu drücken, bis er ertrunken ist - und wenn seine neue Frisur oder seine Herkunft dafür herhalten muss. Kein Mitgefühl, keine Menschlichkeit - nur selbstgerechte, bösartige, empathifreie Kälte. (Gleiches widerfährt nun auch Christian Wulf.)

Ein widerlicher Zug in unserer Gesellschaft ist die Neigung zu sentimental-bigotter Selbstgerechtigkeit - lustvoll benützt von den Medien. In diesem Klima fühlt sich jeder mittelmäßigen Medienfuzzi im Schutz der Pressefreiheit, jeder nach Bedeutung ringende blogger im Schutz der Anonymität seines Niknames in den Foren der Online-Medien berechtigt, den wehrlosen Mitmenschen hinzurichten, der mit dem Makel eines Fehlverhaltens gebrandmarkt ist und so den Frust über die eigene, bedeutungslose Mittelmäßigkeit auszuleben. Kotz!


Donnerstag, März 22, 2012

Wo sind die kritischen Intellektuellen?

Der giftigste politische Kabarettist scheint mir Volker Pispers mit seinem laufend aktualisierten Programm Bis neulich und ich finde ihn noch immer phantastisch - aber abnehmend. 

Im Laufe der Zeit ist mir klar geworden ist, dass die Riege der Kabarettisten in der ersten Reihe der Bekanntheit, die sich heute politisch und gesellschaftskritisch geben (neben Pispers auch z.B. Georg Schramm oder Urban Priol - wobei ich Hagen Rether ausdrücklich ausnehme) zunehmend auf dem Mainstream schwimmen, um Einschaltquoten und damit Einkommen zu generieren. Ihre eigenen, sicherlich deutlich überproportionalen Einkommen, das sie bei Anderen als unangemessen und Ausdruck von maßloser Gier ankreiden, seien ihnen gegönnt.

Für mich haben sie aber ihre Unschuld verloren, haben sich mit dem Ritt auf der Mainstreamwoge an den Kommerz verkauft, deren andere Nutznießer und dessen System sie - meist dem Zeitgeist kritiklos folgend derzeit linkslastig bis zum Klischee degeneriert - kritisieren.


Von guten politischen Kabarettisten erwarte ich den Vortrag eigener Gedanken, eigener Sichtweisen eigener Standpunkte, auch dann, wenn Gefahr droht. Die größte Gefahr, der sie heute ausgesetzt sind, ist wenig Applaus. Wahnsinnig gefährlich, politisches Kabaret heute! Wow, was für mutige Leute! 


Freigeister müssen sie sein - unabhängig und ihrer Überzeugung verpflichtet, nicht der großen Zahl der Claqueure. Vielleicht ist meine Erwartung falsch in einer Medienwelt, wo Einschaltquote und Auflage wichtig sind und der Gehalt der Botschaft untergeordnet - mag sein.

Wenn aber ein Matador der Kabaretbühnen sich
damit profiliert und darauf beschränkt, politische Ereignisse und gesellschaftliche Erscheinungen in die drastischen Worte zu packen, von denen er gewiss sein kann, dass sie bei seinem Publikum ankommen, dann ist er noch kein politischer Kabarettist, sondern ein Komödiant, ein Schauspieler, der dem Publikum nach dem Munde redet. 

Das erscheint mir wohlfeil bis billig. Das versucht jeder Politiker in der Öffentlichkeit auch, vielleicht nicht ganz so amüsant.

Wer, wie ich ursprünglich auch (inzwischen bin ich drüber weg), z.B. Neues aus der Anstalt oder Die Wochenshow im ZDF einschaltet, weiß, was kommt, und tut es im Zweifel, um seine Meinung - sozusagen professionell in die Form gebracht und vorgetragen, zu der man selbst nicht in der Lage ist - immer aufs Neue bestätigt zu finden.

Dabei wird gerne jeder Respekt vor den Opfern der Kritik, jede Humanität - für die einzutreten die Kritiker der unsozialen, also unmenschlichen Gesellschaft gerne für sich reklamieren - über Bord geworfen. Es wird verbal geklotzt, darauf kommt's an, das spricht den Sinn für Schadenfreude und Häme bei den Claqueuren an. Im Schutz der dabei in Anspruch genommene Narrenfreiheit. Auf den  Wahrheitsgehalt kommt es nicht so sehr an, wenn die Pointe Publikums-Effekt verspricht.

Nicht anders sehe ich inzwischen die Matadoren der Talk-Shows - angefangen beim mich enttäuschenden Günter Jauch über Beckmann, Maischberger, Will bis Illner. Unter dem Vorwand der Aktualität, mit dem Anspruch auf Meinungsführerschaft und getragen von der eigenen Bedeutung treiben sie die jeweils aktuellen Säue mainstreamkonform durchs Dorf - langweilig, wie die Beiträge der geladenen Politiker, die gezwungen sind, Parteitenor - verpackt in klischeehaft einstudierte Worthülsen - abzusondern. (Oder habst Du von Hern Blüm, Herrn Lauterbach, Herrn Geißler, oder wie sie alle heißen, in den letzten 5 Jahren was Neues gehört? Wenigstens ein paar Wortpassagen, die man nicht nicht kennt?
Eher hat man den Eindruck, sie übernachteten gegen ein kleines Entgelt als Zugriffsreserve im Sender.)

Hast Du was anderes gehört, als unisono draufhaun auf Guttenberg, Sarrazin, Westerwelle, die FDP, Wulff, die "Reichen", die Bänker? Irgendwo was Differenziertes bei den großen Multiplikatoren?


Wehe eine bis dato wegen ihrer Kompetenz anerkannte, bewunderte, hochgelobte Persönlichkeit schwächelt. Kaum hat man eine Verfehlung entdeckt, wird hemmungslos draufgekloppt - ohne Rücksicht, ohne wenigstens Reste von Humanität, als handle es sich um schon immer durch und durch verachtenswerte Zeitgenossen, auf die jeder ungestraft spucken darf. Es scheint um Volksbelustigung zu gehen, wie beim Fasching.


Ich fürchte, man würde sich um die Scheiterhaufen versammeln, wenn die nicht verboten wären - die Medien entfachen das Feuer, die Kabarettisten kippen den Sprit rein, die Comedian-Garde füllt die Pausen, um die Leute am Nachdenken zu hindern und Politiker würden sich fragen, wie sie das so artikulieren können, dass die Wähler das bei der nächsten Stimmabgabe honorieren.


Aktualität ist alles, Dabeisein unverzichtbar - Events sind in, egal, was geboten wird. 


Wenn die Welle abebbt, wenn das Ereignis (oder der menschliche Leichnam auf der Schlachtbank der Öffentlichkeit) ausgelutscht ist, bricht die Bedeutung des aufgeschäumten Ereignisses in sich zusammen, verschwindet im Vergessen, lässt ggf. zerstörte Menschen zurück. Manchmal kommt später hie und da etwas Nachdenklichkeit auf - selten genug, denn das nächste Medienereignis tobt über die Bildschirme und das Publikum tobt mit.


Bei Kabarettisten, Talkmastern und Politikern wünsche ich mir die Sichtbarkeit eigener Beobachtungen, Sichtweisen, Standpunkte, Interpretationen, Schlussfolgerungen, Empfehlungen - nicht geformt vom Mainstream und ihn bestätigend, sondern ihn hinterfragend. 


Denken muss nicht zwingend langweilig sein.

Für Kabarettisten galt einmal der Spruch, der Hermann Hesse zugeschrieben wird: Wer gegen den Strom schwimmt, kommt zur Quelle. Heute scheint der Leitspruch von Kabarettisten zu lauten: Wer mit dem Strom schwimmt, macht Kohle und darauf kommt's an


Und für guten Journalismus galt Abgewogenheit als Ausdruck der Erkenntnis, dass jede glitzernde Medaille eine andere Seite hat. Wo ist das geblieben? Weggespült vom Mainstream, der auch hier Auflagen sichert?

Ist der Medienphilosoph Richard David Precht der Einzige Denkende, der vortragen darf, der Presseklub der einzige öffentliche Medienraum mit Reichweite, in dem differenziert gedacht und argumentiert werden darf, ohne den Mainstream bedienen zu müssen? Sind sie die verbliebenen intellektuellen Feigenblätter der Medien?

Wo sind in unseren großen Medien die unabhängigen Intellektuellen? Bitte benennt sie mir und verschafft ihnen Raum, damit sie gehört werden. Es gibt sie, da bin ich sicher, aber wer differenziert denkt, ist nicht medienwirksam und damit unwichtig, nicht existent.


Anmerkung: Ich weiß wohl, dass 3SAT und ARTE und die Spartensender Vertiefendes und Differenziertes anbieten - aber bedeutet das automatisch, dass die Publikumssender flachhirnig handeln und die Mehrheit der Menschen von Nachdenklichkeit frei stellen müssen?