Samstag, November 14, 2009

Tod eines Torhüters

Nachtrag als Vorwort
Nachdem ich heute, am 26.11. den Beitrag von Thomas Assheuer unter dem Titel Die neue Sichtbarkeit des Todes in der ZEIT gelesen habe, war ich sehr versucht, meine im Vergleich oberflächlichen Überlegungen und plumpen Formulierungen zu löschen.
Ich habe es nicht getan und bitte den Leser um Nachsicht.
Bitte hier klicken >> ZEIT
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Robert Enke hat sich umgebracht. Das ist schlimm. Das ist in jedem Einzelfall der gut 10.000 Freitoten in Deutschland pro Jahr (klickst Du auf den Titel) schlimm.

Aber es gibt einen entlarvenden Unterschied zwischen seinem Freitot und dem der anderen 10.000 - entlarvend bezüglich des Zustandes unserer Gesellschaft:

Die Medien wittern Einschaltquoten. Einschaltquoten sind bares Geld, Einschaltquoten, das ist Geschäft! Wer verfügt am schnellsten über Ursachenanalysen der bedeutendsten Fachleute unseres Landes - tatsächliche und selbsternannte. (Und: Wer darf sich rühmen interviewt worden zu sein, seinem Gesicht vor der Nation, sein Profil in ernster Sache geboten zu haben?)

Wer ist am dichtesten dran, wer war dabei? Wer fasst die Trauer der Nation - auch derer die Enke bis dato gar nicht kannten - am anrührendsten in Worte? Das Fernsehen? Die Bildzeitung?

Den Veröffentlicher der Meinung bietet sich ein event der besonderen Art an, nachdem die Schweinegrippen-Pandemie nicht so recht zünden will, nichts mehr hergibt. Der Nationaltorhüter hat sich umgebracht! Traumhaft! Eine bessere Steilvorlage gibt's nicht. Dagegen sind die anhaltenden Gemetzel in Dafur und im Kongo schwer vermittelbar und Einschaltquoten-Flops.

Es geht schließlich um das "Goldene Sprachrohr für Volks-Betroffenheit", es winkt die Chance auf den nächsten Bambi in der Sparte "Hervorrufen kollektiver Trauer"! Also ran an die Volks-Seele.

Unsere neue Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche fängt spontan die Woge der Trauer der sentimentalisierten Bevölkerung, ein, öffnet die Portale und bietet Worte für das Unaussprechliche, müht sich, dem Sinnlosen überirdischen Sinn zu verleihen. Alle Sender waren da, kein Schreiberling namhafter Gazetten fehlte - wehe dem armen Promi, der seinen Termin in der Welt-Politk nicht platzen lassen konnte, um in den kameranahen ersten Reihen als Trauer-Vorbild in der überfüllten Kirche dabei zu sein, bei dieser tiefen Trauer, die das Volk erfasst hat. Wer kann sich leisten nah am Fussball kein Gefühl zu zeigen?

Und alle sind wir uns einig: Er ist grausam, der Druck, der auf den Leistungsträgern liegt, hart, unmenschlich hart ihr Leben! Aber: sie werden schließlich auch gut bezahlt und das berechtigt jedermann bei Versagen verbal auf sie einzuschlagen, Häme über sie zu schütten, sie zu erniedrigen, sie unmenschlich zu behandeln - aber sich umbringen deshalb, das haben wir nicht gewollt. Traurig sind wir und Mitleid haben wir. Das sieht man doch an unserer Teilnahme.

Und wo bleibt der Lockführer, der arme Kerl, dessen Leben nun mit Sicherheit unverschuldet einen Schlag bekommen hat, über den hinweg zu kommen er nicht weniger Hilfe nötig hat, als Enkes Frau, Eltern und Geschwister.

Berlin Alexanderplatz 15.11.2009

Wo ist die mitfühlende Öffentlichkeit?

Scheiß Verlogenheit einer verführbaren, zur Sentimentalität* neigenden Bevölkerung, einer erbarmungslosen Medienlandschaft!

* Sentimentalität ist das Alibi der Rücksichtslosen (Zitat: Mein verstorbener Religionslehrer)

Nachtrag am 16.11.09:
2.400.000 Zuschauer bei der TV-Übertragung! Wenn es eines Beweises meiner Behauptung, es handle sich um einen "Medienglücksfall" von höchstem Inszenierungs-Potential, bedurft hätte, dann ist es diese Einschaltquote.