Mittwoch, April 24, 2013

Über das Nutzen von Empörungspotentialen


Sich empören zu können ist eine rein menschliche Eigenschaft, die den persönlichen Gefühlshaushalt zu regulieren hilft. Empören ist zunächst mal der wohlfeile und risikofreie Beitrag zu einer als falsch oder ungerecht empfundenen Maßnahme eines Anderen. Sich empören bedeutet sich erleichtern, hilft Druck abzulassen, sich auf die Seite der ,Guten‘ zu schlagen. Die Quelle der Empörung ist eine Empfindung, also etwas sehr Subjektives, Persönliches. Es handelt sich bei der Empörung um einen meist spontanen Gefühlsausdruck, also eine Reaktion bei weitgehender Ausschaltung der Ratio, des Verstandes. 

Wissen, Informiertsein und kritisches Denken sind also sozusagen die Gegenspieler der Empörungsbereitschaft. Wer Empörungspotentiale für sich arbeiten lassen will hat also um so leichteres Spiel, je weniger informiert, wissend und denkend die Gruppe ist, die er zur Bildung der Empörungswoge veranlassen will, auf der er reitet. Ein sehr anschauliches Beispiel war die Empörungswelle in der muslimischen Welt infolge der Dänischen Mohamed-Karikaturen. (Übrigens fällt mir auf, dass die Vertreter der Muslime in Deutschland sehr schnell die Empörungskeule zücken. Sie haben gelernt, dass ein wirksam seit dem Holocaust konserviertes, kollektives schlechtes Gewissen beim Thema Minderheiten ein hohes Resonanzpotential für Empörung anbietet.) 

Wenn viele sich über die gleiche Sache empören, rückt der Auslöser, das auslösende Ereignis ins Blickfeld. Es entsteht ein Rechtfertigungs-, ein Erklärungs-Druck. 

Das Empörungspotential und die Empörungsbereitschaft einer Gruppe ist eine nicht zu unterschätzende politische Dimension. Gelingt es - ähnlich der Ola-Welle in Stadien - die Empörung einer großen Zahl von Bürgern auf ein Ereignis, eine Erscheinung zu lenken, dann ist ein wesentlicher Schritt getan im politischen Geschäft. Es geht einerseits um Rechtfertigung des Sachverhalts und andererseits um Einflussnahme auf den Sachverhalt. Es gilt also der Empörung ein Gesicht, eine Stimme zu geben. Dann läuft das schon.

Die Empörungsbereitschaft von Bevölkerungsgruppen ist längst zum Spielfeld von Lobbyisten und deren Berater geworden. Die Aufgabe der Empörungsmoderatoren in unserem Lande besteht darin, einen Sachverhalt mit Empörungspotential durch Vermutungen und Unterstellungen aufzubauschen und die Leit-Medien zur Veröffentlichung zu veranlassen, denn entscheidend ist, die Empörungsbereitschaft einer Vielzahl von Menschen zu erreichen und anzusprechen. (Bei Muslimen übernehmen Mullahs die Empörungsmoderation.)

Nehmen wir den gestrigen Tag. Drei Ereignisse mit Empörungsvolumen erkenne ich. Es hängt aber vom politischen Potential ab, ob ein Volumen zur Welle aufgebaut wird. Das Nutzenpotential für Politik (Wählerinteresse) und Medien (Einschaltquoten) ist dabei Ausschlag gebend.
  1. Ulli Hoeneß hat Hunderte Mio EUR schwarz in der Schweiz gebunkert und vermutlich deutlich 5-stellige Millionenbeträge Steuern hinterzogen, so hört und liest man.
  2. Mario Götze wechselt vom BVB zu Bayern München.
  3. Die Telekom will ab Mai im Billigsttarif keine Voll-Flatrate anbieten.
Ein Blick auf die Chancen einer Empörungswelle zeigt:

Ulli Hoeneß
Gemessen am sachlichen Geschehen müsste man im Umfeld der Arm-Reichdebatte und der in den Medien seit Wochen zum Thema hoch-moderierten Steuerflucht eine nie da gewesene Empörungswoge erwarten. Betroffenheit ja - aber Empörung? Ich erkenne vorerst nichts.
Der Empörungslobbyismus schweigt. Ulli Hoeneß ist eine Ikone, ein Promi, ein Fußballgott, ein Spendensamariter. In seinem Umfeld fiel viel ab für jeden, der sich im Dunstkreis bewegte. Für jedermann. Herr Seehöfer reagiert sofort. Staatsmännisch -  rechtsstaatlich - sachlich. Königsmord lieber nicht - das kostet möglicherweise Wählerstimmen. Das sagen sich wohl die Politiker aller Richtungen. Der Fall Hoeness taugt nicht, um auf dem Empörungsfeld zu punkten. Das Thema lieber sachlich abhandeln - nicht emotional aufheizen. Mal sehn, was Sarah Wagenknecht oder Herr Trittin in der nächsten Talkshow-Runde daraus bastelt.

Mario Götze
Der Transfer eines Fussballprofis hat stattgefunden. Einer von vielen. Ein alltägliches Ereignis. Mal sehn, wie‘s ihm heute Abend im Entscheidungsspiel gegen Madrid ergeht. In Facebook tobt der shitstorm. Die Empörung findet Eingang auf den Bildschirm und ntv. Mario Götze! Vom BVB zu Bayern München! 
Meine Prognose: Kein professioneller Empörungsmoderator sattelt auf. Es fehlt die Nutzenperspektive. Mit einer Empörungswelle ist nix zu gewinnen.

Telekom
Die Telekom - ein privatwirtschaftliches Unternehmen - hat angekündigt, ihre Leistungen in Zukunft in anderer Form anzubieten. Das passiert tagtäglich im sehr beweglichen und marktorientierten Feld der Telekommunikation. Inhalt der Botschaft: Beim billigsten Tarif wird das Ladevolumen gedrosselt. Die Folgen treffen nur diejenigen, die stundenlang Filme runter laden oder ihren Computer als Fernseher benutzen. 75 GB Monatsvolumen sind highspeed gesichert - ein gewaltiges Volumen, das vermutlich nur ein geringer Teil der user benötigt.
Empörung! Ungerechtigkeit, zumal die Telekom die Download-Volumen ausnimmt, die mit ihren eigenen Diensten verbunden sind. (Wer die nützt zahlt ohnehin dafür. Das wird aber erst mal verschwiegen. Kontraproduktiv für den Aufbau einer Empörungswelle.) Das könnte die anderen Anbieter ebenfalls veranlassen, Flatratevolumen zu drosseln!

Ich sehe politisch ausschlachtbares Empörungspotential unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung der Versorgung zumal der Armen. Motto: Teilhabe am sozialen Leben! Mal sehn, ob die Sozialpolitik eine Chance zur Profilierung erkennt. 

Kann sein, dass es genug zu ernten gibt.

Dienstag, April 23, 2013

Reich & Arm

Der Leitartikel in der ZEIT Nr. 17/2013 titelt:



Frank Drieschner fragt (staunend?): Wie kommt es, dass sich in Deutschland so viele Menschen mit der ungerechten Vermögensverteilung abfinden?  

Seine Ausführungen las ich als ein Herumirren im Schlagwort- und Themen-Dschungel auf dem Markt der aktuellen Veröffentlichungen mit der Schluss-Feststellung: Bislang haben die Bürger so getan, als sei ihnen das (die Vermögensverteilung in Deutschland) egal. Sie können es auch ändern.

Untertitel und Schlusstatement unterstellen, dass die Empfindungen der Bevölkerung den statistisch belegten Statements folgen sollten und sich Empörung auf dem Hintergrund der Wahrnehmung schreiend ungerechter Vermögensverteilung Bahn brechen sollte. Diese Erwartung folgt der medialen Mainstream-Verlautbarung die da lautet: Die Vermögen sind ungerecht verteilt, empört euch und unterstützt Steuererhöhungen und zusätzliche Steuern für die Vermögenden. 

Aber vielleicht übersehen Herr Drieschner und die sich der sozialen Gerechtigkeit verschreibenden Medien in den Elfenbeintürmen ihrer mathematisch belegten Erkenntnisse und gegenseitigen Bestätigung etwas Wesentliches. Ein Rückblick auf die RAF könnte vielleicht erhellen: Sie hat ihren Kampf um soziale Gerechtigkeit auf dem Hintergrund der Unzufriedenen einer Arbeiterklasse konzipiert, die es nicht gab.  

Erklärt sich die Gelassenheit der Bevölkerung angesichts der seitens der Medien immer wieder vorgetragenen Reichtumsverteilung vielleicht einfach damit, dass es dem weitaus überwiegenden Mehrheit in unserem Lande so gut geht, dass das Zündeln an der Empörungsbereitschaft einfach nicht funktioniert? 

Dieses Erklärungsmodell würde mich nicht wundern, wenn ich, sehr auf dem flachen Lande wohnend, meine ländliche Nachbarschaft und ihren materiellen Lebensrahmen so anschaue. Selbst ein eher extremer Fall, wie meine Nachbarn zur Linken, dürften kaum zu empören sein:

Vor ca. 15 Jahren ist das Pärchen als Deutschstämmige aus Kasachstan zugewandert. 
Er, ungelernt und seither durchgehend als Angelernter in Schichtarbeit tätig, sie Hausfrau und mittlerweile Mutter, beide noch immer eher radebrechend. Inzwischen ist das damals erworbene Häuschen abgezahlt. Sie haben mittlerweile 4 Kinder zwischen ein und dreizehn Jahren und ein neues, gasbetriebenes, bezahltes Auto. Fleißige Menschen, die sich nach der Decke strecken - der jährliche Familien-Urlaub nach Antalya war bisher immer drin. Sie sind nicht neidisch auf "Die Reichen" und auf die Frage, ob die Einkommen der Topmanager berechtigt sind, oder nicht, verschwenden sie keine neidunterlegte Einschränkung ihrer Freude am eigenen Dasein. 

Selbst die mit politischen und ideologischen Interpretationen aufgeladenen Statistiken zur Darstellen der ungerechten Vermögensverteilung genügen offensichtlich noch nicht, dass sie von der Mehrheit der Bürger aus persönlichem Erleben heraus als so ungerecht empfunden wird, wie Sozialfunktionäre, Sozialpolitiker und linksintellektuelle Journalisten es gerne indoktrinieren würden. 

Menschen erleben sich in der Mehrheit selbst offensichtlich nicht als Rechengröße mathematischer Modelle, sondern als mehr oder minder mit ihrem persönlichen Leben zufriedene Individuen. 

Vielleicht ist dieser - sicherlich nicht mainstreamkonforme - Erklärungsansatz auch eine ernst zu nehmende Antwort auf die Eingangsfrage? 

Der Versuch, die Mehrheit der Bürger unzufrieden zu machen, haut irgendwie bisher noch nicht hin. Wirksamer Lobbyismus sieht anders aus.