Sonntag, April 08, 2012

verdi hilf – ich bin ein Härtefall!!!

Die ZEIT, Ausgabe 15, schildert unter dem Titel "Sie hat ausgedient" Schicksal und Lebensumstände der nun entlassenen Schlecker-Mitarbeiterin Kerstin Mayer. Kein pretentiöser Artikel, wie ich ihn lese, eher eine sachliche Darstellung.

Ich lese darin, dass die Familie Meyer durch Fortfall ihres Schlecker-Einkommens zu Gunsten von Arbeitslosengeld nun 450 € weniger zur Verfügung hat. Das mag viel sein oder wenig - in Abhängigkeit von der Einkommens- und Lebenssituation der Familie, denke ich mir, und lese weiter.

Frau Mayer, erfahre ich, ist 36 Jahre alt, Hauptschule, keine Ausbildung, kein Führerschein. Der Ehemann ist Hausmeister. Sie haben 2 Kinder. Das Nettoarbeitseinkommen betrug bisher 2.700 €. Hinzu kommen rund 310 € Kindergeld.

Prima vista, so denke ich mir, kein schlechtes Einkommen angesichts der Ausbildungsaufwendungen. Persönliche Tüchtigkeit muss gegeben sein. Gemessen daran, so scheint mir, sind 450 € weniger zwar ärgerlich, aber doch wohl verkraftbar, bis Frau Mayer eine neue Stelle gefunden hat. So schlimm, denke ich insgeheim, ist dieses "Schlecker-Frauen-Schicksal" eigentlich nicht. Es rechtfertigt das veröffentlichte Mitleid mit den "Schlecker-Frauen" eben so wenig, wie die Forderung von verdi, die jetzt entstandene Situation von Frau Mayer als Härtefall zu bewerten.

Ich lese weiter und erfahre: Mayers bewohnen ein eigenes 114 qm Reiheneckhaus, Küche neu. Sie fahren einen Geländewagen. Der Stellplatz, steht da, muss noch befestigt, der Garten angelegt werden und die Hecke fehlt auch noch. Die Finanzierung von Haus und Geländewagen kosten im Monat 1.340 € und die Familie hat eine viertel Million € Schulden.

Nun wird das Geld zum Leben knapp.

Was Wunder, denke ich mir und frage mich, was verdi zu meiner Lebensform sagen würde:

Ich habe mein Studium selbst finanziert, war mein Leben lang Angestellter und als solcher die letzten 30 Jahre meines Berufslebens erfolgreich Geschäftsführer eines kleineren, mittelstädischen Untermnehmens. Mein Arbeitseinkommen war etwa 4 x so hoch wie das durchschnittliche der 130 bei mir Beschäftigten. Ich habe immer den höchsten Beitrag in die Sozialkassen bezahlt. Ich habe 3 Kinder - zwei studieren noch, eines ist behindert. Ich habe nie staatliche Unterstützung gefordert oder bekommen - außer Kindergeld.

Heute beziehe ich 1.764,46 € Rente und wohne in einem für 125.000 € (245.000 DM) erworbenen, energieschluckenden Häuschen Baujahr 1954 mit knapp über 100 qm Wohnfläche. Unsere Küche ist 28 Jahre alt und das Familienauto ist ein Golf 5 Diesel, Baujahr 2005.

So gesehen bin ich wirtschaftlich deutlich schlechter dran, als die Mayers. verdi helfe mir, ich bin ein Sozialfall! 

Irgendwie, scheint mir, haben wir das Maß verloren, wenn wir bereits für eine Lebenssituation, wie die von Familie Mayer, die Solidargemeinschaft wegen Unterstützung aufrufen.

Vielleicht hat die Erwartungshaltung an unseren Lebensstandard generell das Maß verloren, wenn wir meinen, dass das Familieneinkommen aus Hausmeistertätigkeit und angelernter Kraft mit Grundschule ohne weitere Ausbildung neben 2 Kindern  und deren Ausbildung auch ein Haus mit Garten und einen Geländewagen finanzieren können muss - so sehr es jedem gegönnt sei.

Sarrazin & Grass

Ich gestehe weder das Buch von Sarrazin noch das Gedicht von Grass gelesen zu haben - aber um die Inhalte geht es mir gar nicht.

Grass und Sarrazin vereint mit uns allen das in unserem Lande durch Artikel 5 (1) des Grundgesetzes gesicherte Recht der freien Meinungsäßerung. Sie trennt von den meisten von uns, dass sie bekannte Persönlichkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung sind.

Was ich – bestenfalls von unserem aufmerksamen Verfassungsschutz [und, wie ich nachverfolgen kann, von einem in Russland angesiedelten Netz-Spionagedienst] registriert – hier äußere, kann ich ungestraft tun, weil ich den Schutz der Bedeutungslosigkeit genieße. Wenn ich Sarrazins Buch oder das Gedicht von Grass geschrieben hätte: Es hülfe mir nicht zur Bekanntheit.

Grass und Sarrazin haben sich erlaubt eine Meinung zu Themen zu äußerNn, über die Politiker und Meinungsmacher die alleinige Deutungs- und Meinungshoheit für sich beanspruchen. Eine Art Inhaberschaft über Sichtweise und Darstellung in der Öffentlichkeit, wenn es um die Themen Zuwanderung mit allem, was dazu gehört und der Erbschuld gegenüber allem, was mit Juden in Verbindung gebracht wird, geht.

Der Meinungs-Maulkorb steht sozusagen über – zumindest aber gleichberechtigt neben dem Grundgesetz, ist gleichsam eine nicht nieder geschriebene, aber allgemein zu akzeptierende Deutung des Satzes Eine Zensur findet nicht statt, die so oder so ähnlich lautet:

In der Öffentlichkeit bekannten Personen wird dringend nahe gelegt Meinungen, die sie infolge eigener Beobachten und selbstständigen Denkens entwickeln, vor Veröffentlichung den führenden Meinungsmachern vorzulegen. Nichtbeachtung dieser verfassungsergänzenden Empfehlung berechtigt zur öffentlichen gesellschaftlichen Hinrichtung und Ächtung mit allen Mitteln.

Alle Bürger – unabhängig von Bildung, Wissen und Urteilskraft – sind im Sinne urdemokratischen Verhaltens insbesondere aufgefordert, im Internet an der Hetze teilzunehmen. Die erfolgreiche Hetzjagd auf Guttenberg und dessen Vernichtung mag hinsichtlich des Verfahrens beispielhaft gesehen werden.


Das Ärgerliche für die selbsternannten Inhaber der Meinungshoheit ist der Umstand, dass das Denken und die Meinung nicht aller Bürger zu den ihnen vorbehaltenen Themen beherrscht werden können; erfreulicher weise sind diese aber beeinfluss- und manipulierbar.

Im Sinne der oben veröffentlichten Durchführungsverordnung zum Zensurverbot muss verhindert werden, dass all zu viele unkontrollierte Köpfe von einem Infragestellen der Herrschaftsmeinung infiziert werden. Diese Gefahr ist immer dann gegeben, wenn herausragende Persönlichkeiten etwas äußern, was aus der Meinungsreihe tanzt.

Die Hüter der Meinungsdiktatur schlagen sofort und erbarmungslos zu – Medien im Schutz der unantastbaren Pressefreiheit.

Da lese ich z.B, dass Grass als 17-Jähriger gegen Kriegsende und angesichts ausgehenden Kanonenfutters zur SS einberufen wurde. Das wird völlig hemmungs- und schamlos benützt, ihm anhaltenden Antisemitismus zu unterstellen. Heutzutage steht einem 20-Jährigen im Zweifel noch der Schutz des Jugendgerichtsbarkeit und verminderte Schuldfähigkeit wegen Alkohols zu, wenn er einen erschlagen hat. Aber als 17-Jähriger, unter der Wahrnehmungsbeschränkung einer Diktatur aufgewachsener Jugendlicher, von der SS eingezogen worden zu sein! Das genügt für lebenslangen Gesinnungsnachweis – unabhängig von  anderen Äußerungen und Verhalten zum Thema Deutsche und Juden durch die danach gelebten knapp 70 Jahre. Grass – so das unisono in stumpfer Hirnlosigkeit vorgetragene Verdikt – ist immer Nazi geblieben!

Israel hat heute für ihn Einreiseverbot erlassen! Ich warte auf den Antrag auf Rücknahme des Literaturnobelpreises. Sein Glück, dass er keinen Dr.-Titel hat.

Erinnern Sie sich noch, wie man damals mit Sarrazin umgesprungen ist? Er hat aus seiner Erfahrung als Finanzminister von Berlin Erkenntnisse gewonnen und Schlussfolgerungen gezogen, die sachlich zu 90% richtig waren, wie Eingeweihte ihm zugestehen. (Natürlich nicht öffentlich, versteht sich. Man ist ja kein Selbstmörder.) Es ging um unbefriedigend gelöste Aufgaben im Berliner Sozialsystem. Die Erkenntnisse und die abgeleitete Kritik traf auch auf islamgläubige Zuwanderer ins Sozialsystem und deren schleppende Bereitschaft, außer den finanziellen Lebenshilfen auch die damit verbundenen Anforderungen unseres Gemeinwesens anzunehmen.
Unglücklicherweise beinhaltet sein Buch wohl auch einige wissenschaftlich nicht haltbare statistische Fehlinterpretationen und solche zu genetischen Gesetzmäßigkeiten, die wohl sehr zweifelhaft sind - mit bedauerlichen Folgen für ihn und seine zutreffenden Feststellungen.

Der Fehler von Grass besteh darin, dass er Israel in schiefes Licht gerückt hat – eine von der Tragfähigkeit der Aussage völlig losgelöster Verstoß gegen die herrschende Meinungsdiktatur. Wie vor Jahresfrist Sarrazin sich des Themas Sozialsystem Berlin und Zuwanderung – unvermeidlich verbunden mit islamischen Verhaltensmustern – bemächtigt hat und zu Aussagen gekommen ist, die die veröffentlichte herrschende Meinung infrage gestellt hatte.

Die jeweiligen Schwächen der von beiden vorgelegten Überlegungen sind der Hebel, die Ausarbeitungen insgesamt und pauschal als unsinnig und unwert einzustufen und sich berechtigt zu sehen, gleich den dazugehörigen Verfasser in die Nähe irrsinniger, ja moralisch verwerflicher Individuen zu rücken oder jetzt Grass angesichts seines Alters einfach für debil zu erklären.

Die gesamte Artillerie absolut tödlicher Schlagworte wird aus den Arsenalen geholt und unisono werden die Salven abegefeurt auf bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich quer zu dem denken und zu äußern wagen, was die Wächter der Meinungsdiktatur als die unantastbar verordnete Öffentliche Meinung vorgegeben haben. Die Rücksichtslosigkeit des Vorgehens ist dergestalt, dass man meinen könnte, es gehe darum, die Welt vor dem anderenfalls unausweichlichen Untergang zu retten.

Der Papst müsste zu Ostern mal aussprechen, was die katholische Kirche bezüglich der Schuld der Juden schon seit nun fast 2000 Jahren vertritt: Die Juden haben Jesus Christus ermordet.

Ich glaube unsere Meinungsdiktatoren würden selbst den Papst ans Kreuz nageln.

PS: Ich fühle mich nicht wohl in einer Gesellschaft, in das Recht auf freie Meinungsäußerung von federführenden Meinungsdiktatoren durch öffentliche Zerstückelung derer unterlaufen wird, deren Äußerungen nicht dem Mainstream entsprechen. Die Hinrichtung markanter Persönlichkeiten mit quer- oder gegenläufigerer Meinung erfolgt ungestraft und zwar unter Berufung auf eben jene grundgesetzlichen Meinungsfreiheit, die die Henker selbst immer dann nicht gelten lassen  wollen, wenn es um Themen geht, über die sie die ausschließliche Kontrolle selbstherrlich und anmaßend beanspruchen.