Montag, April 25, 2011

Warum wir eine FDP brauchen

Es ist derzeit salonfähig auf die Partei und die Vertreter der Freien Demokratischen Partei einzuschlagen und sich lustig zu machen.

Ich habe keinen der Talkmaster oder einen dort auftretenden Diskussionsteilnehmer gesehen, der gewagt hätte, nicht in die gleiche Kerbe zu hauen. Meistens gibt ein Parteipolitiker von der FDP den Watschenmann und alle anderen Versammelten dürfen die stereotypen Worthülsen platzieren in der Gewissheit, Zustimmung bei den Zuschauern zu generieren. Die Talkmaster selbst verstecken ihr Profil hinter beruflicher Neutralität. Eigenprofil wäre tödlich.

Jeder Kabarettist von Volker Pispers über Harald Schmidt bis Urban Priol kühlt sein Mütchen am lauwarmen Wasser des Meinungs-Mainstreams. Einschaltquoten sichern mit eleganten Formulierungen vor einem Heer bereitstehender Claqueure ist die Aufgabe, nicht unabhängige, kritische Auseinandersetzung mit politischem Geschehen, einst Markenzeichen guten politischen Kabaretts.

Zusammengefasst lautet die Aussage: Wir brauchen keine FDP, die ohnehin nur Hoteliers Steuern erlässt und die Interessen der Reichen vertritt.

Als Beobachter des Geschehens bin ich ziemlich erschüttert. Nein, nicht weil ich mich als FDP-Wähler getroffen fühle, sondern weil ich befürchte, dass die liberale Idee und die liberale Staats-Philosophie mit unter die Räder gerät.

Richtig ist die Feststellung, dass die FDP so weit vom liberalen Gedankengut entfernt ist, wie die CDU vom christlichen und die SPD vom sozialen. Das ist allen nur bedingt vorzuwerfen; die Welt ist real und fordert mehr denn je praktische, situationsorientierte Vernunft, keine Glaubenskriege auf der Grundlage von ideologischen Überzeugungen (Der Islamismus ist ein augenfälliger Beweis für überzeugungsgetragene Unvernunft).

Der Unterschied besteht bedrohlicherweise darin, dass das verlorene C der CDU von den christlichen Kirchen und ihren weltlichen Vertretern und das S der SPD von den Gewerkschaften wach gehalten werden, während der liberale Gedanke keine Verteidiger in der zweiten Reihe findet, der seinen Untergang aufhält.

Jetzt bin ich in meinen Ausführungen an der Stelle angekommen, wo ich voraussetzen kann, dass jeder Leser vermutlich ein ziemlich klares Bild dessen hat, was man unter christlich versteht, nicht aber davon ausgehen kann, dass dies auch für den liberalen Grundgedanken und seine Auswirkungen auf unsere Gemeinschaft gleichermaßen gilt, obwohl ich sie gerade heute für wichtiger halte, als das etablierte C.

Ich zitiere die ZEIT Nr. 16 vom 14. April 2011 Seite 5:
Die FDP hat es in ihrer Selbstdarstellung fatalerweise zugelassen, dass sie fast nur noch als Partei des Besitzbürgertums wahrgenommen wird. Das wäre ihr gewiss nicht unterlaufen, wenn sie sich gelegentlich an ihren Ur- und Erzvater John Locke (1632-1704) erinnert hätte. Der hatte nämlich als das natürliche Recht eines jeden die Befugnis betrachtet, to preserve his property - that is, his life, liberty, and estate - zu Deutsch: Sein Eigentum zu verteidigen, das heißt sein Leben, seine Freiheit und sein Hab und Gut. Mit property ist eben von Anfang an viel mehr gemeint als nur Besitz, nämlich alles, was einem Menschen zu eigen ist, sein Leben, seine Freiheit, seine Begabung und seine Fähigkeit, eben: sein gesamtes Vermögen im weitesten Sinne, nicht nur sein Haben, sondern auch sein Sein und Können.

In diesem Sinne ist der liberale Gedanke und die daraus entwickelte Staatsphilosophie das entscheidende und einzige Gegengewicht gegen totalitäre Tendenzen.

Es ist ein leider ein Irrtum zu glauben, dass totalitäre Tendenzen heute in unserer demokratischen Staatsorganisation überwunden sind. Tatsache ist, dass wir sie nicht erkennen, weil moderner Totalitarismus als Verführer verkleidet daher kommt.

Unserere technisierte, informationsüberflutete, globalisierte Welt mit Spielregeln und Anforderungen, die der Einzelne nicht mehr durchschauen geschweige denn durch sein eigenes Verhalten beeinflussen kann, ist die Bühne, auf der sich Totalitarismus entwickelt.

Wir sind heute zwar noch Herr Meier oder Frau Schulze, müssen aber erkennen, dass wir nur noch als Gruppenzugehörige zählen. Als Individuum existieren wir nicht einmal mehr als Kunde, sind als Einzelne nicht mehr wichtig. Spätestens der zweite Anruf bei der Störungsstelle der Telekom in gleicher Sache belehrt uns, dass weder wir noch unser Anliegen bekannt sind, denn ein anderer Call-Center-Agent hebt ab, dem wir wieder alles erklären müssen. Wir sind nur noch statistische Größen, als Arbeitnehmer jederzeit ersetzbar, also nicht wichtig. Großunternehmen bestimme das Geschehen - als einzelne Mitarbeiter sind wir jederzeit ersetzbar, zählen nicht mehr, sind nicht wichtig.

Wir bekommen Harz IV, sind Aufstocker, haben Arbeitsverhältnisse auf Zeit, bekommen Kindergeld und unter bestimmten Umständen wird uns die Studiengebühr erlassen. Das Geld, das uns in unseren Schwächeperioden versorgen soll - Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter - wird uns ungefragt abgenommen und nach zwar rechtlich geregelten aber für den Einzelnen undurchschaubaren Verwaltungsvorgängen zugeführt und uns zugeteilt.

Wir verspüren Ohnmacht, Hilf- und Wehrlosigkeit gegenüber der Komplexität und Kompliziertheit unseres Lebensraums, fühlen uns ausgeliefert - wenn uns noch ausreichende Sensoren geblieben sind, um der Verlust an Selbstbestimmung wahr zu nehmen.

Das bedrohliche Gefühl, den Anforderungen unseres Lebens aus eigener Kraft und aus eigenem Wissen nicht mehr gewachsen zu sein, macht uns zu Schutzsuchenden und damit anfällig gegenüber denjenigen, die uns Schutz anbieten, Sorglosigkeit versprechen und Verantwortung abnehmen.

Totalitarismus tritt heute nicht mehr als Anspruch einer ideologisch gerechtfertigten politischen Kraft auf, sondern als Verführer. Staatliche Versorgungs-Systeme für die basalen Lebensrisiken Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter - soziale Errungenschaften - waren die ersten Sprossen einer Leiter in die Rundumversorgung - man kann auch sagen: die ersten Schritte zur Befreiung von der Verantwortung für das eigene Leben.

Daraus hat sich für die Mehrheit der Bürger in Deutschland eine selbstverständliche und zunehmende Versorgungserwartung gegenüber dem Staat - repräsentiert durch Politiker und Verwaltung - entwickelt. Versorgt werden ist bequem und verführerisch. Dabei vergessen wir, dass jeder Einzelne sich mit jedem neuen Schritt des Versorgtwerdens seiner Fähigkeit begibt, sich selbst zu versorgen. Wir werden zunehmend unselbstständig, unfrei und verlieren die Möglichkeit, aus eigener Kraft zu leben.

Das alle einschließende gegenleistungsfreie Bürgergehalt liegt in der Luft und ist bereits Gegenstand ernst zu nehmender Überlegungen eines Gesellschaftsmodells, das schon heute schleichend eingeführt wird.

Wenn wir nicht aufpasen und gegensteuern wird das Ende der Entwicklung darin bestehen, dass die Bürger ihre Mitsprache und Mitentscheidung und damit ihre Handlungsfreiheit bei Institutionen abgeliefert haben werden in denen Spezialisten sitzen, die die komplizierten Regeln beherrschen (oder zu beherrschen vorgeben, sich selbst dafür bezahlen und versorgen lassen, sich aber dann der Verantwortung entziehen, wenn die von ihnen gemanagten Systeme kollabieren), nach denen unser Staatswesen funktioniert und wie wir versorgt werden.

Totalitarismus wird nicht mehr durch einen Diktator repräsentiert, der alle Andersdenkenden durch Gewalt diszipliniert und die Bürger so ihrer Freiheit beraubt. Moderner Totalitarismus entwickelt sich dadurch, dass der Einzelne seine Freiheit und Selbstbestimmung gegen Versorgung freiwillig verschenkt und sich allgemeingültigen Regeln unterwirft, die nur von wenigen durchschaut und durch einen vielgliedrigen Verwaltungs-Apparat gesichert wird.

In einem demokratischen System bestimmt die Mehrheit, also die große Zahl. Regeln und Normen werden so entwickelt und festgeschrieben, dass sich die Mehrheiten darin wieder finden.

Das Mittelmaß wird zum Maßstab erhoben - ein Maßstab, der keinem gerecht wird, weil wir alle unterschiedlich sind. Gefordert ist die Unterwerfung unter den TOTALITARISMUS DER MITTELMÄSSIGKEIT.

Wo bleiben die, die nicht Mittelmaß sind, die herausragende Begabungen, Talente, Eigenschaften haben? Was geschieht mit deren treibender, gestalterischer Kraft als Künstler oder Unternehmer? Wo bleiben die, die noch ein selbstbestimmtes Leben führen, selbstverantwortlich und auf eigenes Risiko ihr Leben gestalten wollen im Verlass auf ihre Fähigkeiten und Kräfte, ihr Talent und ihre Kreativität?

Wo bleibt der Raum für die Entfaltung der in den Einzelnen vorhandenen Kräfte, die sich bei selbstständigen Handwerkern, Gewerbetreibenden, Kleinunternehmern Weg bahnen wollen, indem sie die damit verbundenen Risiken auf die eigene Kappe nehmen, um ihr Streben aus zu leben.

Wo ist Raum für die Gruppe dynamischer Menschen, die für eine Gesellschaft, ihre Entwicklung und ihren Fortbestand so elementar wichtig sind, wenn sich alles nach der großen Zahl richtet, die nach Versorgung strebende Mehrheit der Bevölkerung die Regeln vorgibt?

Sind Freizeitsport mit Streben nach persönlichen Höchstleistungen das "mehrheitsfähige Ventil", um das Streben des Einzelnen sozusagen gesellschaftlich unschädlich abzulassen?

Das kann, das darf es nicht sein!

Es geht darum, denjenigen Bürgern Raum zu bewahren, die sich noch zutrauen, ihr Leben in weitgehender Unabhängigkeit von Staat und großen Unternehmen selbstverantwortlich zu gestalten und darum, Voraussetzungen zu schaffen, dass folgende Generationen die Chancen ihres Lebens in freier Selbstverwirklichung anpacken können.

Damit geht es auch darum an einem Staatswesen zu arbeiten, das sich auf die Kraft ihrer Bürger verlässt und nicht auf die Herrschaft computergestützter Systeme baut.

Diese Interessen zu sichern brauchen wir eine politische, liberale Kraft, die für Bürgerrechte und Selbstbestimmung im Sinne von John Lock: to preserve his property - that is, his life, liberty, and estate eintritt.

Aufgabe einer FDP ist der politische Kampf für ein Gesellschaftsmodell, in dem es einerseits um die Verbesserung der Startchancen und insbesondere derer, die von Herkunft benachteiligt sind, geht und andererseits darum, dass der gesellschaftliche Lebensraum so gestaltet ist, dass die dadurch verbesserten Chancen aller Einzelnen auch gelebt werden können.

Die gelebte FDP, muss wieder erkennen, dass Bürgerrechte mehr sind, als niedrige Steuern...