Donnerstag, Mai 12, 2016

Der Koran ist Bibel und Verfassung zugleich.


Die gesamte öffentliche Diskussion über die Bewältigung der Flüchtlingskrise geht  seltsamer Weise wie selbstverständlich davon aus, dass wir, die aufnehmende Gesellschaft, eine Bringschuld haben, die weit über die Sicherung materieller Grundbedürfnisse der Neubürger hinaus geht.

Die Bereitschaft - so mein Eindruck - geht bis hin zur Änderung unserer Gepflogenheiten und Wertvorstellung da, wo sie kontrovers auf die der 'Neubürger' treffen, zumal dann, wenn sie sich als einseitige Erklärung unter den Schutz der bei uns gesicherten Religionsfreiheit stellen. (Jüngstes Beispiel in der Schweiz ist die Weigerung zweier Halbwüchsiger, der Lehrerin die Hand zu geben).

Umgekehrt wird ein Schuh draus: nicht wir müssen uns anpassen, sondern die 'Neubürger' stehen vor der Aufgabe, sich uns anzupassen. Unsere ist es, dabei zu helfen. Im eigenen Interesse, um Konflikte zu minimieren.

Dieses Eigeninteresse legt uns nahe, konfliktträchtige Missverständnisse zu vermeiden. Das gleiche Eigeninteresse legt auch nahe, unmissverständlich zu kommunizieren, was hier geht und was nicht.

Das ist leichter gefordert, als artikuliert, weil in unserer säkularen, freizügigen und liberalen Lebensform nahezu alles möglich ist und Verbote - erfreulicherweise - das letzte Mittel sind.

Die Aussage sollte nicht lauten "Wir schaffen das!" Sondern die Frage sollte lauten, "Schaffen sie - die zu uns Kommenden - das?"
Und vielleicht könnte man noch hinzufügen: "Was erwarten wir als 'Gastgeber' und wie können wir ihnen dabei helfen, es (was ist eigentlich das ES?) zu schaffen?"
Und weiter: was ist uns zumutbar?

Das Problem besteht m.E. im Kern darin, dass wir es in der überwiegenden Mehrheit wohl mit Gästen zu tun haben, die in der in ihrer Religion und  Kultur gegründeten gesellschaftlichen Auffassung  ziemlich starr verwurzelt zu sein scheinen, einer Kultur, deren Ausprägung in patriarchischen Strukturen Ausdruck findet und sich dabei auf den jeden Zweifel verbietenden Koran bezieht.
Die Erwartung, die die Neubürger - aus ihrer Sicht mit nachvollziehbarer Selbstverständlichkeit -  mitbringen, besteht im Kern darin, ihre Religion (die bekanntlich viele Ausprägungen hat) und ihre Kultur, die sich neben der uneingeschränkten Religionsausübung in den bereits erwähnten patriarchalischen Familienstrukturen und damit die untergeordnete Rolle der Frau - in der Öffentlichkeit sichtbar durch das Befolgen Bekleidungsvorschriften  manifestieren -  unverändert weiter leben zu können.

Das hat ursächlich - und das ist die eigentliche und entscheidende Hürde - damit zu tun, dass in muslimischen Ländern der Koran nicht nur Glaubensfragen regelt und die Imame im Umgang mit der Religion helfen, sondern auch die Dinge des täglichen Lebens aus dem Koran heraus bewerten und verbindlich regeln.

Der Koran ist Bibel und Verfassung zugleich, regelt also das gesamte Leben ganz konkret und verbindlich. Die 'Irdischen' Vergehen werden nicht einer irdischen Gerichtsbarkeit zugeführt und dort nach irdischen Gesetzen bewertet, sondern unterliegen der religiösen Gerichtsbarkeit und das Gesetzbuch ist der Koran.

Daraus resultiert die Unverträglichkeit. In unserer Gesellschaft sind Verhalten erlaubt und verboten, die abweichen von denen, die der Koran erlaubt bzw. verbietet. Jeder wirklich gläubige Muslim muß also nach Regeln leben, die möglicherweise (und wie sich zeigt in vielen Fällen) abweichen von unseren.

Der <b>gläubige</b> Muslim ist also gefordert zu entscheiden: Lebe ich streng den Koran, befolge die Interpretation und die daraus abgeleiteten Verhaltensnormen meines Imams in der Moschee oder verstoße ich ggf. gegen den Koran und lebe nach den Gesetzen und gesellschaftlichen Normen der aufnehmenden Gesellschaft.

Was mich persönlich betrifft stelle ich ganz egoistisch fest, dass ich schon die anhaltende, raumgreifende Diskussion über die Befindlichkeiten der Muslime in unserem Lande als ziemliche Zumutung wahrnehme.
Will sagen, dass ich nicht bereit bin, gesellschaftliche Änderungen hinzunehmen, die unsere in 2000 Jahren meist blutiger Gesinnungs- und Machtgeschichte errungenen Freiheiten einengen aus Toleranz gegenüber einer - aus meiner Sicht - gestrigen Kultur.

Folglich sollte die Frage nicht lauten, "Schaffen wir das?" (uns an die Erwartungen der Neubürger anzupassen), sondern "Schaffen es die Neubürger mit Hilfe unserer großzügigen Angebote, ihre religiös-kulturellen Gepflogenheiten denen unserer Welt anzupassen ?"

Ich habe ernsthafte Zweifel daran, denn es ist für die Meisten sehr viel verlangt - und muss dennoch verlangt werden.

Denn weniger geht nicht ohne  unsere - zumindest partielle und schleichend sich dann weiter entwickelnde - Selbstaufgabe.

Es muss zwingend gelten "Wehret den Anfängen".

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