Freitag, Mai 16, 2014

Persönliche Antwort auf einen kapitalismuskritischen Brief.

:-) ich hab's mir ja gedacht: der Kapitalismus ist Schuld. Und zwar an allem! (Sogar an unserem Wohlstand hierzulande. Zeit, ihn abzuschaffen.)

Wenn dem so ist - und Sie zitieren ja die in den Medien weidlich breit getretenen Folgen und Beispiele weltweit undisziplinierter egoistischer wirtschaftlicher Aktivitäten von Nationen, Organisationen, Kapitalkomplexen und Einzelfiguren - dann tun wir (alle!) gut daran, zusätzliche Regeln einzuführen und weitestgehend möglich in unserem eigenen Verhalten zu beachten. Übrigens ganz im Sinne des erwähnten Artikels, über den Sie sehr rasch hinweg gegangen sind, um sich in die Reihe der Klischee-Aufzähler einzureihen - die Spitze muss sein.:-)

Schön wäre, wenn wir uns darauf einigen könnten, dass der Kapitalismus nicht abgeschafft werden kann und schon gar nicht durch einen anderen ....ismus ersetzt werden sollte.

Weil ich aber befürchte - Unterstellung, zugegeben - dass Sie eher der Überzeugung sind, dass es darum geht, den Kapitalismus abzuschaffen, versuche ich meinen Standpunkt  zu erklären.

Er lautet: Kapitalismus kann nicht abgeschafft werden, weil er Ausdruck biologisch determinierter menschlicher Verhaltensweise ist. Der entscheidende Unterschied zu den bekannten alternativen Gesellschaftsmodellen besteht darin, das Kapitalismus keine Ideologie, sondern Ausdruck menschlichen Wesens ist. Folglich erhebt der Kapitalismus keinen eigenen normativen Anspruch.
Kapitalismus abschaffen hieße Menschen abschaffen [was vielleicht nicht so schlecht wäre :-)], Kapitalismus verbieten scheitert zwingend, weil es zu absoluter materieller Verarmung Aller führte. (Mal abgesehen davon, dass global vernünftig geregelter Kapitalismus die einzige Chance für menschenwürdiges Dasein in Wohlstand für alle nicht nur versprechen, sondern auch halten könnte.)

Kapitalismus ist ein Ausdruck menschlichen Egoismus, der überall dort in allen seinen Ausprägungen wirksam begrenzt und geregelt sein sollte, wo sein Ausleben zu Lasten anderer geht - nicht nur im Materiellen. Darum geht es im Kern. 

Was nun tun mit den unübersehbar negativen Auswirkungen kapitalistischer Verhaltensweisen, wo doch Wissen, Kapital und Macht global arbeiten und zunehmend ungleicher verteilt sind? Ich habe auch keine Sofortlösung, keine Patentlösung wenn z.B. China in Afrika durch Bestechung der Regierenden riesige fruchtbare Ländereien aufkauft und für eigene Zwecke ausbeutet zu Lasten der indigenen Bevölkerung und ihrer Lebensform. Ich weiß aber, dass wir spät dran sind und das Bohren harter und dicker Bretter vor denen liegt, die die Situation verbessern wollen.

Und ich weiß, welche Lösungen nicht helfen können und werden: Das Hirn abschalten mit den Methoden radikaler Gruppierungen wie Boko Haram, Autonome in Berlin, Hamburg und sonstewo, evangelikaler Fundamentalisten und methodenverwandter Vorgehensweisen. Ich hoffe, dass wir da keinen Dissens haben. 

Aber auch eine erneuter Versuch, die Mängel und Ungerechtigkeiten kapitalistischen Verhaltens durch erzwungene Installation  idealistischer Gesellschaftsmodelle zu beseitigen, die von Überzeugungen oder Glauben getragen sind, wird nicht weiter helfen - schon wegen des Anspruchs globaler Umsetzung und Wirkung.

Außerdem stecken hinter '...ismen'  immer Ideologien, die der Tarnung konkreter Machtinteressen dienen. Ideologien dienen immer Wenigen dazu, die Mehrheit zur Erreichung persönlicher Ziele der Wenigen einzuspannen. Ideologien sind im Regelfall autoritär weil erdacht und nicht demokratisch entwickelt und legitimiert und enden aus innerer Logik immer undemokratisch - der moralische Anspruch der Idee wird notfalls erzwungen. Das ist selbst bei Religionen nicht anders. Dabei bedienen sich alle Ideologien zunächst im Kern immer des "Versprechens der Befriedigung individueller, egoistischer Wünsche, Erwartungen und Träume in der Zukunft", um zu verführen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass selbst Religionen, wie die christliche, zu den demagogischen Mitteln der Verführung griff und greift: Folge mir, es wird zu Deinem Nutzen sein.

Ideologien bieten Lösungen für das Unlösbare. Wir sind geneigt, uns von denen verführen zu lassen, die im Brustton der Überzeugung  Lösungen anbieten, die die Ungerechtigkeiten  beseitigen, die der Einzelne empfindet oder erkennt. Dabei haben Ideologien noch nie etwas gelöst - schon gar nicht das Problem von Ungerechtigkeit. Sie haben bestenfalls über Schweiß und Blut die Machtverhältnisse aus den Kopf gestellt.

Ich würde vorziehen, Schieflagen zielorientiert auf dem Hintergrund definierter Grundsätze mit Wissen, Verstand und Beharrlichkeit anzugehen, Leidenschaft und Überzeugung nur als Treibstoff einzusetzen. Und ich würde erwarten, dass einer Veränderung eines Zustandes mit negativen Erscheinungen auch die Würdigung der positiven Seiten vorausgeht. Gerade heute neigt die Kritik am Kapitalismus und seinen ins Rampenlicht gezerrten Protagonisten zur Maßlosigkeit. In Vergessenheit gerät, dass jedes erfolgreiche Unternehmen - selbst Banken! - auch eine Gemeinwohlnutzenseite haben. Florierende Wirtschaft dient nun mal den meisten - auch wenn diese Erkenntnis ärgerlich ist.

So sehe ich in der EU, den TTIP-Absichten wie in der Globalisierung und vielen weiteren von Ihnen zitierten Maßnahmen eher die Vor- als die Nachteile. Die Aufgabe besteht in der umsichtigen Ausgestaltung der Regeln, nicht in der Verweigerung, weil wir befürchten.... Unserem politischen System fehlt allerdings all zu oft die Fähigkeit, die Folgen von Entscheidungen zu durchdenken und schlüssig zu handeln. (Vermutlich oft wegen des Kompromisscharakters demokratisch zustande gekommener Entscheidungen und der Interessenlagen zumal auf internationaler Ebene.)

Übrigens: Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass der Kapitalismus das einzige "Gesellschaftssystem" ohne ideologischen Unterbau ist, ohne Bibel, ohne Kapital, ohne Koran auskommt, keinen 'Schöpfer' hat, der Glaubenssätze vorgibt und persönliche Erkenntnisse in Wahrheiten verpackt, nicht dem Gehirn eines demagogischen Einzeltäters entsprungen ist?

Warentausch und Handel, Geld und Markt sind sehr ursprünglich mit dem Menschen verbunden und haben ihre Wurzeln außerhalb intellektueller Denkmodelle im instinktiven Bestreben jedes Einzelnen nach einem persönlichen Nutzen materieller über ideeller Natur. Das sagt etwas über Ursprung und Kraft dessen aus, was wir heute als "kapitalistisches System" verteufeln.

Wir haben zugelassen, dass sich Geld verselbstständigt hat und sich global der Kontrolle entzieht. Das war falsch und es wird dringend Zeit, gegen zu steuern.  Demokratisch und konstruktiv, mit Verstand und nicht mit Glauben. Eine nationale Kartellbehörde wird das wohl nicht schaffen ;-) 

Da sind wir uns hoffentlich einig.

1 Kommentar:

MiCo hat gesagt…

Hier die Antwort meines Diskussionspartners, die mich auf anderem Weg erreicht hat:
Der Kapitalismus ist keineswegs an allem Schuld. Aber an vielem. Sie möchten sich darauf einigen, dass der Kapitalismus nicht abgeschaft wird? Weil Sie persönlich der Meinung sind, dass das jetzige System die Idealform ist? Wenn überhaupt, ist es die soziale Marktwirtschaft, die aber mit zunehmender Globalisierung nach dem Fall des eisernen Vorhangs immer unsozialer wurde. Und nichts ist so naiv wie der Glaube, man könnte doch globale Regeln einführen, um die negativen Auswüchse des Kapitalismus zu regulieren. Die EU schafft es doch nicht einmal dafür zu sorgen, dass die Steuergesetze in allen Mitgliedsstaaten so ausgestaltet sind, dass sich globale Großkonzerne wie Amazon nicht ihrer steuerlichen Verpflichtung entziehen können. In der Tat, ich befürworte ein sozialistisches System. Keineswegs jedoch die DDR. Es geht um Sozialismus in Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Demokratie. Ich möchte, dass die Wirtschaft den Menschen und nicht die Menschen der Wirtschaft dienen. Ich denke, auf dieses Konzept sollte man sich verständigen. Als größte Beleidigung der Demokratie empfinde ich eine Äußerung von Frau Merkel, die sagte, man müsse die Demokratie marktkonform gestalten. Mit einer solchen Auffassung sollte man nicht das höchste politisch gestaltende Amt in Deutschland führen. Fakt ist, es muss sich einiges ändern. Am Arbeitsmarkt, in der Sozialpolitik, in der Rente. All diese Dinge werden sich nicht in einem Europa des Marktes ändern lassen. Und ich erwarte nicht, dass politische Parteien, wie die CDU, die sich selbst zu einem großen Anteil aus Parteispenden von Großkonzernen finanziert, an diesem System etwas ändert.