….. oder die schleichende Gefahr für unsere geistige Freiheit und deren Sensoren durch die normative Kraft des Fernsehens.
Wenn ich die Häuser der Nachbarn sehe oder durch die Neubaugebiete unserer Gemeinde spaziere, kommen mir Zweifel, ob ich in meinem kleinen Haus ohne Sonnenpanele auf dem Giebeldach aus dem Jahre 1958 denn auch ein richtiges Leben führe, denn es entspricht nur sehr eingeschränkt dem Zeitgeist, der geprägt ist durch die Welten, die uns das Fernsehen zeigt.
Nachbarn haben neu gebaut - kubisch mit mit Sonnenkollektoren auf dem Pultdach, gewaltigen bodenreichenden Fenstertüren über die nach Süden gerichtete Wohnfront. Ein phantastisches Haus und statt grünem, fränkischem Vorgarten, wie er bisher hier auf dem Lande so üblich war, ein kunstvoll in weißem Kiesel gestaltetes feng-shui-Entrée mit Schilfbüscheln, positioniert nach fernöstlicher Lehre - vermutlich unterirdisch gewässert, denn Erde gibt’s da keine mehr. Die Doppelgarage - so mein Eindruck - voluminöser als unser Haus, in dem wir drei Kinder groß gezogen und mit ausgewogenem Selbstwertgefühl ins Leben geschickt haben. Fussbodengeheizter Wohnraum mit edlen Terrakotta-Fliesen 60x60cm; Möbel, Nippes und Wände - weiß vorherrschend - zeitgeistgetragen, wie es nur der Innenarchitekt vom Einrichtungshaus hinbringt. An der Wand ein Andy Warhol-Druck mit Marilyn Monroe. Eine Küche mit ausladendem Edelstahlabzug über dem zentralen Herd-Arrangemement - Gas und Elektro in Verbund mit einer japanischer Grillmulde. Von der Beschreibung der weiteren Ausstattung von Dampfgarer bis Lafer-Stab nehme ich Abstand; das wäre abendfüllend und mir fehlen die Fachbegriffe.
Kostenpunkt: 30 Jahre Sklave der Hypothekendarlehen;
Nutzen: Die show stimmt.
So weit so vertretbar; das muss man nicht haben, auch wenn es das Ansehen fördert.
Aber muss ich nicht befürchten mangels Teilhabe am allgemeinen gesellschaftlichen Leben gemobbt zu werden, wenn ich offenbare, dass ich noch nicht in den USA und nicht in Neuseeland war, noch keine Kreuzfahrt um Feuerland gemacht und nicht auf den Malediven geschnorchelt habe.
Wenn ich Menschen frage, was sie denn im Urlaub in fremden Ländern und fremden Kulturen erlebt hätten, erfahre ich, dass das Wetter gut und der Strand sauber waren, der Sequoia Nationalpark beeindruckend, man auf dem Schiff habe unendlich viel essen und trinken können und alles nur x € gekostet habe - all inclusive! Neuerdings könne man die obligatorischen Landgänge auch mit Mountain-Bikes unternehmen, um den Eingeborenen näher kommen zu können. Und im nächsten Jahr werde man Vietnam machen.
Ich denke Aha! und komme mir mit meinem Südfrankreich schon recht aus der Zeit gefallen vor.
Vor mir an der Kasse der EDEKA steht eine Frau mit zwei Töchtern, etwa 10 und 12 Jahre alt. Im Wagen eine Trage Yoghourt (Erdbeergeschmack), zwei Kasten Bier unten und 2 Kasten süßes Schlabbergetränk in 1-Liter-Flaschen oben auf gestapelt - schon beim Anschauen könnte man zuckerkrank werden. Auf meine entsprechende Bemerkung erklärte mir die Mutter, dass die Kinder kein Wasser trinken würden - schon gar nicht aus dem Hahn. (Dass ich immer Wasser aus dem Hahn trinke, wenn ich Durst habe, behalte ich für mich, um nich Gefahr zu laufen, als Relikt wahrgenommen zu werden.)
Im Fernsehen erfahre ich, dass Frau, wenn sie attraktiv sein will - und wer will das nicht? - körperhaarlos, täglich geduscht, desodoriert, gesalbt, gestrafft und geschminkt sein müsse - im Bedarfsfall mit Plastikbusen und frisch geschnitzter Nase versehen. Wahre Wundermittel der Kosmetik- und Haarpflege-Industrie dienen der unverzichtbaren Vervollständigung der Schönheit -ins Bild gesetzt von 15-jährigen Models als Beweis für hautstraffende Wirkung über Nacht. Jungs müssen in jedem Fall einen guten body haben und cool drauf sein, was inzwischen eigentlich auch nur noch unter Zuhilfenahme einschlägiger Kosmetikprodukte zu erreichen ist. Tattoos unterstreichen den Körperkult und ohne geht bald gar nicht mehr. (Und ich freue mich alt genug zu sein, um nicht mehr mithalten zu müssen und es zu meiner Zeit genügte, einfach ein Mann zu sein oder die Rolle erfolgreich zu simulieren - nicht anders als heute nur mit weniger Aufwand und gleich zweifelhafter Wirkung.)
Der neue TV-gestilte Mensch liebt erst mal sich und dann kommt lange nichts mehr. Er fühlt sich im Mittelpunkt des Seins und tut alles, um einzigartig zu sein - wirkungsvoll in seiner Einzigartigkeit wahr genommen zu werden in der unendlichen Masse der Einzigartigen, Herausragenden. Das kostet unendlich viel Zeit und Geld, macht unglücklich und unzufrieden, weil es nicht gelingt, die Erwartungen zu erfüllen, die die Vorbilder im Fernsehen uns abverlangen.
Freiheit weil wir das freiwillig tun? Von wegen! Wir merken es nicht, weil wir nicht wissen, was Freiheit ist, weil wir nicht spüren, wie unfrei unser Dasein ist, gefangen in einer Sklaverei im Dienste des Konsums und derer, die daran verdienen:
- Wir selbst, die Masse der abhängig Beschäftigten in Form von Lohn und Gehalt im Hamsterrad getrieben auf der Jagd nach einem unerreichbaren Sein,
- Die Fernsehleute und die Werbewirtschaft als Diener der Einschaltquoten und der Werbewirksamkeit,
- Der Staat an unseren Einkommen-, Mehrwert- und Konsumsteuern
- Die Kapitalgeber, die den ganzen Zirkus finanzieren.
Wir sind unfrei im Kopf, versklavt von Bildern, die uns das Fernsehen liefert, süchtig nach Konsum um jeden Preis. Wir sind verführbar und nicht frei, um zu erkennen, dass wir Sklaven sind, Hamster in einem Rad, dessen Energie abgesaugt wird zum unbestimmten Nutzen Dritter.
Wir merken nichts von unserer geistigen Versklavung. Die Freiheit unserer Entscheidung, das zu tun, was wir für unser Wohlgefühl zuträglich erkannt haben, ist nur dem Anschein nach gegeben.
In Wirklichkeit sind wir unfrei und streben nach einem Leben, das Andere, die daran verdienen, uns als lebenswert suggerieren.
Weiter so!
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