Die gesamte
öffentliche Diskussion über die Bewältigung der Flüchtlingskrise geht seltsamer Weise wie selbstverständlich davon
aus, dass wir, die aufnehmende Gesellschaft, eine Bringschuld haben, die weit
über die Sicherung materieller Grundbedürfnisse der Neubürger hinaus geht.
Die Bereitschaft -
so mein Eindruck - geht bis hin zur Änderung unserer Gepflogenheiten und
Wertvorstellung da, wo sie kontrovers auf die der 'Neubürger' treffen, zumal
dann, wenn sie sich als einseitige Erklärung unter den Schutz der bei uns
gesicherten Religionsfreiheit stellen. (Jüngstes Beispiel in der Schweiz ist
die Weigerung zweier Halbwüchsiger, der Lehrerin die Hand zu geben).
Umgekehrt wird ein
Schuh draus: nicht wir müssen uns anpassen, sondern die 'Neubürger' stehen vor
der Aufgabe, sich uns anzupassen. Unsere ist es, dabei zu helfen. Im eigenen
Interesse, um Konflikte zu minimieren.
Dieses
Eigeninteresse legt uns nahe, konfliktträchtige Missverständnisse zu vermeiden.
Das gleiche Eigeninteresse legt auch nahe, unmissverständlich zu kommunizieren,
was hier geht und was nicht.
Das ist leichter
gefordert, als artikuliert, weil in unserer säkularen, freizügigen und
liberalen Lebensform nahezu alles möglich ist und Verbote - erfreulicherweise -
das letzte Mittel sind.
Die Aussage sollte nicht lauten "Wir schaffen das!" Sondern die Frage sollte
lauten, "Schaffen sie - die zu uns Kommenden - das?"
Und vielleicht
könnte man noch hinzufügen: "Was erwarten wir als 'Gastgeber' und wie
können wir ihnen dabei helfen, es (was ist eigentlich das ES?) zu
schaffen?"
Und weiter: was ist
uns zumutbar?
Das Problem besteht
m.E. im Kern darin, dass wir es in der überwiegenden Mehrheit wohl mit Gästen
zu tun haben, die in der in ihrer Religion und
Kultur gegründeten gesellschaftlichen Auffassung ziemlich starr verwurzelt zu sein scheinen,
einer Kultur, deren Ausprägung in patriarchischen Strukturen Ausdruck findet
und sich dabei auf den jeden Zweifel verbietenden Koran bezieht.
Die Erwartung, die
die Neubürger - aus ihrer Sicht mit nachvollziehbarer Selbstverständlichkeit - mitbringen, besteht im Kern darin, ihre
Religion (die bekanntlich viele Ausprägungen hat) und ihre Kultur, die sich
neben der uneingeschränkten Religionsausübung in den bereits erwähnten
patriarchalischen Familienstrukturen und damit die untergeordnete Rolle der
Frau - in der Öffentlichkeit sichtbar durch das Befolgen
Bekleidungsvorschriften manifestieren
- unverändert weiter leben zu können.
Das hat ursächlich -
und das ist die eigentliche und entscheidende Hürde - damit zu tun, dass in
muslimischen Ländern der Koran nicht nur Glaubensfragen regelt und die Imame im
Umgang mit der Religion helfen, sondern auch die Dinge des täglichen Lebens aus
dem Koran heraus bewerten und verbindlich regeln.
Der Koran ist Bibel und Verfassung
zugleich, regelt also das gesamte Leben ganz konkret und verbindlich.
Die 'Irdischen' Vergehen werden nicht einer irdischen Gerichtsbarkeit zugeführt
und dort nach irdischen Gesetzen bewertet, sondern unterliegen der religiösen
Gerichtsbarkeit und das Gesetzbuch ist der Koran.
Daraus resultiert
die Unverträglichkeit. In unserer Gesellschaft sind Verhalten erlaubt und
verboten, die abweichen von denen, die der Koran erlaubt bzw. verbietet. Jeder
wirklich gläubige Muslim muß also nach Regeln leben, die möglicherweise (und
wie sich zeigt in vielen Fällen) abweichen von unseren.
Der <b>gläubige</b> Muslim
ist also gefordert zu entscheiden: Lebe ich streng den Koran, befolge die
Interpretation und die daraus abgeleiteten Verhaltensnormen meines Imams in der
Moschee oder verstoße ich ggf. gegen den Koran und lebe nach den Gesetzen und gesellschaftlichen Normen der aufnehmenden Gesellschaft.
Was mich persönlich
betrifft stelle ich ganz egoistisch fest, dass ich schon die anhaltende, raumgreifende Diskussion über die Befindlichkeiten der Muslime
in unserem Lande als ziemliche Zumutung wahrnehme.
Will sagen, dass ich
nicht bereit bin, gesellschaftliche Änderungen hinzunehmen, die unsere in 2000
Jahren meist blutiger Gesinnungs- und Machtgeschichte errungenen Freiheiten
einengen aus Toleranz gegenüber einer - aus meiner Sicht - gestrigen Kultur.
Folglich sollte die
Frage nicht lauten, "Schaffen wir das?" (uns an die Erwartungen der
Neubürger anzupassen), sondern "Schaffen es die Neubürger mit Hilfe
unserer großzügigen Angebote, ihre religiös-kulturellen Gepflogenheiten denen
unserer Welt anzupassen ?"
Ich habe ernsthafte
Zweifel daran, denn es ist für die Meisten sehr viel
verlangt - und muss dennoch verlangt werden.
Denn weniger geht
nicht ohne unsere - zumindest partielle
und schleichend sich dann weiter entwickelnde - Selbstaufgabe.
Es muss zwingend
gelten "Wehret den Anfängen".
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