Donnerstag, März 22, 2012

Wo sind die kritischen Intellektuellen?

Der giftigste politische Kabarettist scheint mir Volker Pispers mit seinem laufend aktualisierten Programm Bis neulich und ich finde ihn noch immer phantastisch - aber abnehmend. 

Im Laufe der Zeit ist mir klar geworden ist, dass die Riege der Kabarettisten in der ersten Reihe der Bekanntheit, die sich heute politisch und gesellschaftskritisch geben (neben Pispers auch z.B. Georg Schramm oder Urban Priol - wobei ich Hagen Rether ausdrücklich ausnehme) zunehmend auf dem Mainstream schwimmen, um Einschaltquoten und damit Einkommen zu generieren. Ihre eigenen, sicherlich deutlich überproportionalen Einkommen, das sie bei Anderen als unangemessen und Ausdruck von maßloser Gier ankreiden, seien ihnen gegönnt.

Für mich haben sie aber ihre Unschuld verloren, haben sich mit dem Ritt auf der Mainstreamwoge an den Kommerz verkauft, deren andere Nutznießer und dessen System sie - meist dem Zeitgeist kritiklos folgend derzeit linkslastig bis zum Klischee degeneriert - kritisieren.


Von guten politischen Kabarettisten erwarte ich den Vortrag eigener Gedanken, eigener Sichtweisen eigener Standpunkte, auch dann, wenn Gefahr droht. Die größte Gefahr, der sie heute ausgesetzt sind, ist wenig Applaus. Wahnsinnig gefährlich, politisches Kabaret heute! Wow, was für mutige Leute! 


Freigeister müssen sie sein - unabhängig und ihrer Überzeugung verpflichtet, nicht der großen Zahl der Claqueure. Vielleicht ist meine Erwartung falsch in einer Medienwelt, wo Einschaltquote und Auflage wichtig sind und der Gehalt der Botschaft untergeordnet - mag sein.

Wenn aber ein Matador der Kabaretbühnen sich
damit profiliert und darauf beschränkt, politische Ereignisse und gesellschaftliche Erscheinungen in die drastischen Worte zu packen, von denen er gewiss sein kann, dass sie bei seinem Publikum ankommen, dann ist er noch kein politischer Kabarettist, sondern ein Komödiant, ein Schauspieler, der dem Publikum nach dem Munde redet. 

Das erscheint mir wohlfeil bis billig. Das versucht jeder Politiker in der Öffentlichkeit auch, vielleicht nicht ganz so amüsant.

Wer, wie ich ursprünglich auch (inzwischen bin ich drüber weg), z.B. Neues aus der Anstalt oder Die Wochenshow im ZDF einschaltet, weiß, was kommt, und tut es im Zweifel, um seine Meinung - sozusagen professionell in die Form gebracht und vorgetragen, zu der man selbst nicht in der Lage ist - immer aufs Neue bestätigt zu finden.

Dabei wird gerne jeder Respekt vor den Opfern der Kritik, jede Humanität - für die einzutreten die Kritiker der unsozialen, also unmenschlichen Gesellschaft gerne für sich reklamieren - über Bord geworfen. Es wird verbal geklotzt, darauf kommt's an, das spricht den Sinn für Schadenfreude und Häme bei den Claqueuren an. Im Schutz der dabei in Anspruch genommene Narrenfreiheit. Auf den  Wahrheitsgehalt kommt es nicht so sehr an, wenn die Pointe Publikums-Effekt verspricht.

Nicht anders sehe ich inzwischen die Matadoren der Talk-Shows - angefangen beim mich enttäuschenden Günter Jauch über Beckmann, Maischberger, Will bis Illner. Unter dem Vorwand der Aktualität, mit dem Anspruch auf Meinungsführerschaft und getragen von der eigenen Bedeutung treiben sie die jeweils aktuellen Säue mainstreamkonform durchs Dorf - langweilig, wie die Beiträge der geladenen Politiker, die gezwungen sind, Parteitenor - verpackt in klischeehaft einstudierte Worthülsen - abzusondern. (Oder habst Du von Hern Blüm, Herrn Lauterbach, Herrn Geißler, oder wie sie alle heißen, in den letzten 5 Jahren was Neues gehört? Wenigstens ein paar Wortpassagen, die man nicht nicht kennt?
Eher hat man den Eindruck, sie übernachteten gegen ein kleines Entgelt als Zugriffsreserve im Sender.)

Hast Du was anderes gehört, als unisono draufhaun auf Guttenberg, Sarrazin, Westerwelle, die FDP, Wulff, die "Reichen", die Bänker? Irgendwo was Differenziertes bei den großen Multiplikatoren?


Wehe eine bis dato wegen ihrer Kompetenz anerkannte, bewunderte, hochgelobte Persönlichkeit schwächelt. Kaum hat man eine Verfehlung entdeckt, wird hemmungslos draufgekloppt - ohne Rücksicht, ohne wenigstens Reste von Humanität, als handle es sich um schon immer durch und durch verachtenswerte Zeitgenossen, auf die jeder ungestraft spucken darf. Es scheint um Volksbelustigung zu gehen, wie beim Fasching.


Ich fürchte, man würde sich um die Scheiterhaufen versammeln, wenn die nicht verboten wären - die Medien entfachen das Feuer, die Kabarettisten kippen den Sprit rein, die Comedian-Garde füllt die Pausen, um die Leute am Nachdenken zu hindern und Politiker würden sich fragen, wie sie das so artikulieren können, dass die Wähler das bei der nächsten Stimmabgabe honorieren.


Aktualität ist alles, Dabeisein unverzichtbar - Events sind in, egal, was geboten wird. 


Wenn die Welle abebbt, wenn das Ereignis (oder der menschliche Leichnam auf der Schlachtbank der Öffentlichkeit) ausgelutscht ist, bricht die Bedeutung des aufgeschäumten Ereignisses in sich zusammen, verschwindet im Vergessen, lässt ggf. zerstörte Menschen zurück. Manchmal kommt später hie und da etwas Nachdenklichkeit auf - selten genug, denn das nächste Medienereignis tobt über die Bildschirme und das Publikum tobt mit.


Bei Kabarettisten, Talkmastern und Politikern wünsche ich mir die Sichtbarkeit eigener Beobachtungen, Sichtweisen, Standpunkte, Interpretationen, Schlussfolgerungen, Empfehlungen - nicht geformt vom Mainstream und ihn bestätigend, sondern ihn hinterfragend. 


Denken muss nicht zwingend langweilig sein.

Für Kabarettisten galt einmal der Spruch, der Hermann Hesse zugeschrieben wird: Wer gegen den Strom schwimmt, kommt zur Quelle. Heute scheint der Leitspruch von Kabarettisten zu lauten: Wer mit dem Strom schwimmt, macht Kohle und darauf kommt's an


Und für guten Journalismus galt Abgewogenheit als Ausdruck der Erkenntnis, dass jede glitzernde Medaille eine andere Seite hat. Wo ist das geblieben? Weggespült vom Mainstream, der auch hier Auflagen sichert?

Ist der Medienphilosoph Richard David Precht der Einzige Denkende, der vortragen darf, der Presseklub der einzige öffentliche Medienraum mit Reichweite, in dem differenziert gedacht und argumentiert werden darf, ohne den Mainstream bedienen zu müssen? Sind sie die verbliebenen intellektuellen Feigenblätter der Medien?

Wo sind in unseren großen Medien die unabhängigen Intellektuellen? Bitte benennt sie mir und verschafft ihnen Raum, damit sie gehört werden. Es gibt sie, da bin ich sicher, aber wer differenziert denkt, ist nicht medienwirksam und damit unwichtig, nicht existent.


Anmerkung: Ich weiß wohl, dass 3SAT und ARTE und die Spartensender Vertiefendes und Differenziertes anbieten - aber bedeutet das automatisch, dass die Publikumssender flachhirnig handeln und die Mehrheit der Menschen von Nachdenklichkeit frei stellen müssen?

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