Wie es dazu kam und wo das hinführt.
Heute lese ich in meiner Tageszeitung unter der Überschrift Solidarität statt Sozialabbau folgendes Statement zweier Sozialverbände: Die durch Reformen ins Sozialsystem gerissenen Lücken müssten immer häufiger durch Privatvorsorge geschlossen werden. Dies sei "ein Irrweg", sagte SoVD-Präsident Adolf Bauer in Berlin.
Als unser Staatswesen sich aus den Trümmern des 2. Weltkrieges wieder aufraffte, war es für jedermann klar und als "Volkswissen" verankert, dass man vorsorgen muss und zwar jeder für sich, so gut er kann. Das begann für die Kinder mit dem Märchen von der Grille und der Ameise und war in Sprichworte gegossen wie Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not. Und wer sein Schiksal nicht in die Hände nimmt, darf nicht klagen.
Das war die selbstverständliche Grundeinstellung zum Leben.
Gleichzeitig war Deutschland eine Demokratie geworden und es kam auf die Anzahl der Stimmen der Bürger an.
Folglich haben die Politiker mit zunehmendem wirtschaftlichem Prosperieren und entsprechend sprudelnden Steuerquellen begonnen, sich durch Versorgungsversprechungen Stimmen zu kaufen.
Freibier zieht immer.
Und die Wirtschaft begann mit dem Angebot, auf Raten zu bezahlen. Lebe heute – bezahle morgen. Das war erst anrüchig und wurde dann gesellschaftsfähig. (Heute sind wohl 80 % aller neuen PKW geleast oder kreditfinanziert.)
Gleichzeitig wurde die soziale Absicherung perfektioniert: Auf dem Hintergrund des anscheinend naturgesetzlichen, vom Tun der Bürger losgelösten Wirtschaftswachstum, machten Funktionäre und Politiker es ihren Wählern bequem, sie zu wählen: Obwohl man nicht arbeitete wurden Feier-, Krankheits- und Urlaubstage vom Arbeitgeber bezahlt und für Urlaub und Weihnachten brauchte man auch nichts zurückzulegen, das zahlte er auch. Dadurch, dass der Eigenbeitrag vom Arbeitgeber direkt abgeführt wurde, wurde er nicht wahrgenommen.
Es entstand ein entscheidender Bruch im Grundverständnis der Ursachen von Wohlstand und Wohlergehen, denn der unmittelbare Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung war verschwunden.
Die Frage, wie es sein konnte, dass man im Jahr wochenlang nicht arbeiten musste, also nichts beitrug zum output, und trotzdem seinen Lohn bekam, als würde man arbeiten, stellte sich niemand - das war gesetzlich oder tarifvertraglich so geregelt und daher nicht Sache des Einzelnen.
Kündigungsschutz nach sozialem Status (nicht nach Leistung), Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung und jährlich steigende Löhne teilte den Menschen mit: Jedes Jahr geht’s besser, lebe heute, zahle morgen, da gibt’s wieder mehr Lohn und für Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter ist gesorgt - mach Dir keinen Kopf.
Und wer nicht so viel hatte, um den dynamisch als arm definierten Lebensstandard (dazu gehörte warme Wohnung, Strom und Wasser, Möbel inklusive Waschmaschine und Kühlschrank, Fernseher, Computer, Telefon, Kleidung und Nahrung) aus eigener Leistung zu finanzieren, bekam Stütze vom Staat auch dann, wenn er zwar arbeiten gekonnt hätte, aber nicht wollte, weil beispielsweise der angebotene Arbeitsplatz unzumutbar weit weg, der Ausbildung nicht entsprechend oder gar niedriger bezahlt war, als vorher.
Der Preis war der Verlust an Selbstbestimmung, denn alles wurde zunehmend geregelt, Funktionäre sorgten für uns. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung wurde in der Freizeit befriedigt.
- Betriebswirtschaftliche Regeln schienen aufgehoben.
- Ein modernes Paradies war erfunden.
- Es firmiert unter "Soziale Errungenschaften".
- Und es ist unantastbar, weil rechtlich und vertraglich abgesichert.
Zu Beginn unseres so erfolgreichen Aufbaus unseres Gemeinwesens nach dem Krieg - und da konnte die soziale Aufgabe auch noch geschultert werden - empfand jedermann selbstverständlich: Die Lebensaufgabe heißt, dass jeder sich nach Kräften bemüht, sein Leben aus eigener Kraft zu bewältigen. Das schließt für vernunftbegabte Wesen ein, dass man Vorsorge trifft, um den Risiken Krankheit und Alter gewachsen zu sein. Unterstützung durch die Gemeinschaft war für die gedacht, die dieser Aufgabe aus persönlichem Schiksal nicht gewachsen waren.
Heute ist die Erwartung, dass der Einzelne sich aus eigener Kraft erhalten können sollte, eine unzumutbare Vorstellung - neoliberal das Totschlagargument.
Wir haben gelernt und die meisten Bürger, die heute "im Saft stehen" kennen nichts anderes: Leben ist nicht mehr unsere Sache, das müssen die Funktionäre für uns tun. Sie müssen für einen Arbeitsplatz, eine angemessene Entlohnung - also eine, die für Hausfinanzierung, Auto, 6 Wochen Sonne dort, wo's schön ist auf der Welt bis hin zum Fitnesstudio reicht - , sorgen, die Vorsorge für Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter abdecken und mir einen kostenlosen Schuldenberater zur Verfügung stellen, wenn ich mich hoffnungslos verschuldet habe.
Moderner Sozialismus bedeutet Vergesellschaftung der Lebensaufgaben der Einzelnen - die Funktionäre haben das Sagen.
Zwingend und als Folge wird sich ein System entwickeln, in dem der Staat die Vorgänge nicht nur sichert, sondern plant - Planwirtschaft und hoheitliche Festlegung dessen, was es zu welchem Preis und welcher Menge für die Bürger gibt. Klingelts? Die DDR lässt schön grüßen und Oskar Lafontaine reibt sich schon mal die Hände.
Wie weit wir auf diesem Weg vorangekommen sind, zeigt die Auffassung im Eingangs-Statement und ich befürchte, sie findet deutlich gößere Zustimmung, als die Aufforderung an den Einzelnen, er müsse erst mal für sich selbst sorgen, bevor er sich versorgen läßt.
Das geht nicht gut - wetten?
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